EPICOLOR: „Your completely automatic professional colorist“

Die Firma Lemkesoft dürfte vielen Mac-Usern vor allem durch den GraphicConverter ein Begriff sein, der seit 1992 jede noch so exotische digitale Bilddatei der letzten Jahrzehnte öffnen und konvertieren kann. Seit kurzem findet sich bei diesem Anbieter ein neues Produkt mit dem Namen EPICOLOR als Plug-in per FxFactory für Final Cut Pro X und Motion; eine Version für DaVinci Resolve ist in Arbeit. Der Anspruch im Untertitel ist hoch gesteckt und hat unsere Neugier geweckt.

Jede gute Software sollte ein Problem lösen (und nicht etwa neue erzeugen), aber um welches Problem geht es hier? Jeder Kameraprofi weiß, dass eine Kamera Farben nicht so sieht wie der Mensch. Geläufig ist uns allen, dass ein korrekter Abgleich der Farbtemperatur nötig ist, damit neutrale Töne wie Weiß oder Grau ohne deutlichen Farbstich dargestellt werden. Die menschliche Wahrnehmung hat gar keine Probleme damit, unter stark wechselnden Lichtverhältnissen Farben als „richtig“ zu empfinden, wenn wir mit unserem gesamten Sichtfeld der Beleuchtung mit dem gleichen Farbspektrum ausgesetzt sind.
Die Problematik geht aber noch tiefer, denn keine Kamera kann mit Filtern, die in die Grundfarben Rot, Grün und Blau separieren, die andersartigen Empfindlichkeitskurven des menschlichen Auges korrekt nachbilden. Zwar trennen auch wir drei verschiedene Farbbereiche, im Gegensatz zu manchen Tieren: Der Fangschreckenkrebs besitzt acht verschiedene Rezeptortypen, viele Säugetiere dagegen nur zwei. Aber die Spektralkurven unserer Augen unterscheiden sich erheblich von jeder mit finanziell vertretbarem Aufwand realisierbaren Kamera und können mit drei Farbfiltern und Siliziumchips, die allein die Lichtintensität messen, nur unvollkommen nachgebildet werden. Hinzu kommt bei den Kameras mit nur einem Chip noch das anspruchsvolle De-Bayering, das durch Nebendichten und Seitenlichteinfall der weniger perfekten, mikroskopisch kleinen Farbfilter erschwert wird.
Jeder Hersteller trifft seine eigenen stilistischen Entscheidungen, welche Kompromisse bei der Übersetzung der Messwerte per Farbmatrix in der Kamera eingegangen werden. Viele bieten dazu noch etliche Möglichkeiten, selbst in der Kamera am „Look“ herumzuwerkeln. Darüber hinaus können schon verschiedene Objektive die Farben beeinflussen. Die Aufgabe von Color Gradern ist es dann einerseits, den Look verschiedener Kameras aufeinander abzustimmen, in erster Linie aber, Zuschauern den Eindruck zu vermitteln, sie sähen eine reale Situation, als wären sie in der Szene anwesend. Das erfordert in der Regel sehr viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen.

Die Spektralkurven der Farbzellen im menschlichen Auge sind technisch kaum umsetzbar.
Die Spektralkurven der Farbzellen im menschlichen Auge sind technisch kaum umsetzbar.
In Resolve wird die tetrahedrale Interpolation nur optional angeboten.
In Resolve wird die tetrahedrale Interpolation nur optional angeboten.

Farbkonstanz

In der Evolution ist das Auge ganz ursprünglich eine Ausstülpung des Gehirns, und in der Tat ist auch unsere Netzhaut bereits eine Art Präprozessor für visuelle Daten, die vom Gehirn in sehr komplexer Weise weiterverarbeitet werden. Auch wenn wir uns (anders als eine Kamera ohne Weißabgleich) auf wechselnde Spektralverteilung in erstaunlichem Maße einstellen können, haben wir doch bestimmte Erwartungen an die Farben bestimmter Objekte.
Bekannt ist, dass Zuschauer recht genau erkennen können, wenn mit den menschlichen Hauttönen etwas nicht stimmt – schließlich haben wir ja auch ständig Gelegenheit, sie mit dem Original zu vergleichen. Aber auch wichtige Farben aus der Natur wie das Blau des Himmels und das Grün von Pflanzen werden recht kritisch wahrgenommen und sollten glaubhaft dargestellt werden. Aber im Bereich Blau bis Grün haben Kameras (gerade wenn sie gute Hauttöne bieten) schon häufiger Probleme, wie wir bei unseren Kameratests per Farbtafel und Vektorskop immer wieder feststellen müssen.

Log-Material aus einer Blackmagic Pocket bekommt EPICOLOR auch bei Vollautomatik gut in den Griff.
Log-Material aus einer Blackmagic Pocket bekommt EPICOLOR auch bei Vollautomatik gut in den Griff.
Oben EPICOLOR, unten die automatische Abstimmung nach Farbkarte aus DaVinci Resolve
Oben EPICOLOR, unten die automatische Abstimmung nach Farbkarte aus DaVinci Resolve

Der Entwickler ist das Problem von der Seite der menschlichen Wahrnehmung angegangen und hat sich um einen Algorithmus (genannt Xe8472) bemüht, der die Vorgänge bei der menschlichen Farbwahrnehmung nachahmt und nicht versucht, nur die spezifischen Schwächen einzelner Kameras auszugleichen. Das Verfahren hat er seit 2001 entwickelt und 2002 zuerst zur Korrektur von Photos veröffentlicht. Er brauchte aber nach eigenem Bekunden noch über 14 Jahre weiterer Forschung und Entwicklung, um es für Filmzwecke zu optimieren. Jeder, der einmal versucht hat, mit HDR-Software für Photos einen Film zu bearbeiten, kennt die Herausforderungen des bewegten Bildes: Die kleinen Fluktuationen der technischen Parameter zwischen den Einzelbildern können dort bei automatisierten Korrekturen zu unregelmäßigem Flackern führen. Außerdem wird ein Photo als singuläres Ereignis wahrgenommen, während Zuschauer die Farben im Film bei jedem Schnitt kritisch vergleichen können.
Ähnlich wie gute Denoiser analysiert das Plug-in daher insgesamt drei Bilder in der Umgebung des einzelnen Filmbildes, um zu stabilen Ergebnissen bei der Berechnung seiner Farb- und Kontrastkorrektur zu kommen. Diese wird übrigens mit dem rechenaufwendigeren Verfahren der tetrahedralen Interpolation (im Gegensatz zur üblichen trilinearen) berechnet. An verbreiteter Software bietet nur Resolve dieses Verfahren optional an. Es vermeidet die Streifenbildungen und Abweichungen von der Graukurve, die (neben den Schwächen von 8 Bit Farbtiefe oder Kompression) zusätzlich bei der üblichen Berechnung von LUTs auftreten können. Trotzdem läuft die Software mit modernen Grafikkarten erstaunlich flott, weil die Berechnung weitgehend durch die GPU erfolgt.

Den Farbstich auf der Straße durch automatische Weißbalance beseitigt EPICOLOR nicht sofort.
Den Farbstich auf der Straße durch automatische Weißbalance beseitigt EPICOLOR nicht sofort.
Durch ein paar manuelle Eingriffe lässt sich auch das in den Griff bekommen.
Durch ein paar manuelle Eingriffe lässt sich auch das in den Griff bekommen.

Die Resultate

Die Wirkung auf Filmbilder mit korrektem Weißabgleich aus der Kamera ist auf den ersten Blick subtil, wie es gutes Grading ja auch sein sollte. Aber ein geübtes Auge erkennt die Veränderungen sofort: Man hat quasi den Eindruck, es werde ein Schleier aus dem Bild gewischt. Insbesondere bei Landschaftsaufnahmen entsteht eine Frische und Natürlichkeit, die überzeugt, aber auch Hauttöne guter Kameras profitieren noch auf dezente Weise. Damit scheint der Filter in erster Linie für Dokumentarfilme geeignet, wo man sich in der Regel sowieso kein aufwendiges Grading leisten kann. Der Entwickler empfahl uns, gar nicht erst zu versuchen, die Funktionsweise zu verstehen.
Daher beschränke ich mich hier auf subjektive Eindrücke: Die Software verstärkt in gewissem Maße Kontraste und Farbsättigung, geht dabei aber keineswegs so brutal vor wie die gängige Automatik aus Schnittprogrammen, die einfach den hellsten Wert im Bild auf Weiß und den dunkelsten auf Schwarz zieht. Mit dem neuen Verfahren bleibt dagegen die beabsichtigte bzw. natürlich vorhandene Stimmung erhalten. Es scheint in gewissem Maße auch mit Simultankontrasten der Farben zu agieren, denn weitgehend monochromes Material mit viel Grün oder Braun wird weniger intensiviert als vielfarbige Motive. Auf der Website www.EPICOLOR.film finden sich überzeugende Filmbeispiele bis hin zur Rekonstruktion historischer Farbfilme.
Das Plug-in lässt sich von Quellmaterial in Rec. 709 auch auf Log umstellen, sodass sich der Einsatz einer Kamera mit Log-Aufnahme auch dort lohnen kann, wo bisher Zeit und Geld gar kein manuelles Grading erlaubten. Bei vielen Kameras funktioniert das sehr gut, so z.B. bei der Alexa oder den Kameras von Blackmagic. Aber Log-Formate behandelt nun einmal jeder Hersteller anders, sodass manche bei reiner Automatik noch zu kontrastarm oder zu hell aussehen. Da hilft der Griff zu den manuellen Reglern, denn mit Korrekturen bei „Automatic Contrast“ (Vorgabe 85 für Log), „Brightness“ (eine nicht-lineare Gammakurve) und schlimmstenfalls „Contrast Overdrive“ (eine klassische S-Kurve) lässt sich das leicht beheben. Solche Korrekturen lassen sich als Preset abspeichern, sodass Kameras mit unterschiedlichen Log-Formaten recht schnell zu matchen sind.
Jeder gute Color Grader wird auch bei der Gestaltung noch so expressiver Looks zuerst einmal einen neutralen Grade anlegen und Konsistenz innerhalb der Szene erzeugen wollen. Insofern ist es durchaus naheliegend, dieses Plug-in für die Erstkorrektur einzusetzen und dann eine spezifische Stimmung darauf aufzubauen. Zwei Stimmungen bietet das Tool mit „friendly“ als wärmerer und „understate“ als kühlerer Variante schon im automatischen Bereich – im Grunde nur ein Hinweis darauf, dass man eigene Presets anlegen kann. Außerdem werden ein paar knackige Looks im Hollywood-Stil mitgeliefert, dazu lassen sich eigene LUTs im Format .cube laden.
Eine gängige Form des automatischen Farbabgleichs ist die Funktion „Match“ in Resolve, die aber die Aufnahme einer passenden Farbkarte voraussetzt. Da diese Funktion sehr stark von der Helligkeit des Ausgangsmaterials abhängt, haben wir das Ergebnis mit einer entsprechend in Kontrast und Helligkeit angeglichenen Version aus dem neuen Plug-in verglichen. Da fällt dann auf, dass es weniger gesättigte Farben zeigt und im Ergebnis heller bleibt. Wenn man die per Farbkarte gewonnenen Werte in Resolve auf eine Testszene überträgt, erscheint auch dort das Ergebnis dunkler, gesättigter und etwas gelber. Andererseits bekommt man nicht immer die Aufnahme einer Farbkarte von den Kameraleuten und es ist festzustellen, dass das Ergebnis mit dem neuen Werkzeug zwar technisch weniger korrekt sein mag, aber auch im direkten Vergleich zur realen Szene sehr gefällig aussieht. Nur der Hintergrund ist gegenüber der subjektiven Wahrnehmung etwas zu hell, aber letztlich musste bei diesem Motiv ein sehr hoher Kontrast in den knappen Umfang von Rec. 709 umgesetzt werden – da bleibt ein erhebliches Maß an Subjektivität.

Superweiß?

Problematisch ist die Tatsache, dass in FCP-X viele externe Filter regulär nur den für Broadcast (also Rec. 709) zulässigen Bereich nutzen. Wenn Sie eine Kamera haben, die den sogenannten „Superwhite“-Bereich mit Werten bis 109 IRE nutzen kann (wie z.B. diverse Sonys mit den Profilen Cine-1, -3 und -4), wird bei 100 IRE gnadenlos abgeschnitten. Das ist nicht allein bei dieser Software so: Bei Color Finale z.B. müssten Sie mit einem komplizierten Workaround arbeiten. Abhilfe schafft die Vorschaltung des Effekts „Farbkorrektur“ und dessen Funktion „Belichtung“. Wenn man dort die Lichter herunterzieht, werden die zusätzlichen Details wieder verfügbar. Leider reicht der Einfluss des Filters von Apple bis in die mittleren Bereiche, was große Bereiche der Bildinformation für die weitere Bearbeitung nachteilig verändert.
Besser kann es der Filter „Levels and Curves“ von Graeme Nattress (auch bei FxFactory), wo man an das „Superwhite“ herankommt und die Korrekturkurve individuell justieren kann. Laut Aussagen des Autors von EPICOLOR arbeitet er an einer Lösung, dieses Problem per Algorithmus und vollautomatisch anzugehen. Derzeit läuft die Software unter FxFactory und somit nur auf dem Mac, und zwar mit FCP-X und Motion. Resolve könnte mit den Werten außerhalb der Broadcastnorm flexibler umgehen, und der Entwickler hat auch schon eine entsprechende Version in Arbeit. Sie soll Käufern der aktuellen Lizenz nach Fertigstellung kostenlos zur Verfügung stehen. Aber schon jetzt hindert Sie nichts daran, einen Film damit zu behandeln, in einem hochwertigen Format für andere Plattformen herauszurechnen und den Schnitt per .xml zu übergeben.

Automatik & Manuelles

Natürlich kann selbst so ein „intelligenter automatischer Algorithmus“ nicht hellsehen, sodass Schwächen spezifischer Kameras oder grobe Farbstiche nicht immer im automatischen Modus beseitigt werden können. Die vom Hersteller auf Youtube gezeigten Beispiele beweisen, dass die Software Farbstiche alten Analogfilms mit erstaunlicher Wirkung beseitigen kann. Das gelingt mit reiner Automatik bei Videomaterial nicht immer in gleicher Weise. Wenn z.B. die Weißbalance der Kamera auf Automatik lief, entstehen durch dominante Farben im Bild (wie hier das Grün) Farbstiche in der Gegenfarbe, sodass unsere Straße einen Magentastich aufweist. Den beseitigt das Tool zwar nicht vollautomatisch, aber wenn man in die manuellen Settings geht und mit „Color Mood“ und „Color Mood Intensity“ die Verschiebung ausgleicht.
Eine grobe Fehleinstellung der Farbtemperatur, wie Tages- statt Kunstlicht, gleicht die Software nicht vollständig aus. Das ist aber auch nicht unbedingt erwünscht, denn warm getöntes Material aus der goldenen Stunde oder kühles von einem trüben, regnerischen Tag soll ja in der Regel seine Lichtstimmung behalten. Verschiebungen durch falsche Kelvinwerte werden bei vielen Kameras bereits weitgehend beseitigt, und bei Bedarf kann man auf die Schnelle weiter ausgleichen, indem man „friendly“ bei zu kühlem oder „understated“ bei zu warmem Ton wählt. Wenn man es noch besser hinbekommen möchte, helfen auch hier wieder manuelle Justagen bzw. eigene Presets.

Bei neutraler Abstimmung kommt EPICOLOR sogar mit Slog-2 aus einer Sony A7R II recht gut zurecht.
Bei neutraler Abstimmung kommt EPICOLOR sogar mit Slog-2 aus einer Sony A7R II recht gut zurecht.
Das Magenta auf dem eigentlich blauen Glas lässt sich mit „Selective Color“ beseitigen.
Das Magenta auf dem eigentlich blauen Glas lässt sich mit „Selective Color“ beseitigen.

Das Plug-in bietet sogar eine sekundäre Farbkorrektur, hier „Selective Color“ genannt. Die haben wir im Beispiel benutzt, um eine massive Fehlfärbung durch extremes Blau in den Griff zu bekommen, das den Gamut einer Sony A7R II deutlich überforderte. Ähnlich müsste man bei blauen LEDs eingreifen, die den Gamut vieler Kameras überschreiten (abgesehen vom neuen IPP2 bei RED). Schwerer ist es, die Tendenz zum Grünstich bei Slog-2 aus einer semiprofessionellen Kamera im automatischen Betrieb zu beherrschen. Aber daran würden sich auch die meisten Koloristen die Zähne ausbeißen, wenn sie es ohne eine spezifische, vorgeschaltete LUT versuchten. Wenn dagegen bei Profigeräten wie der F55 das extrem weiche Slog-3 benutzt wird, treten solche Probleme nicht auf. Da ist mit manueller Verstärkung der Kontraste und Farben schnell ein ansehnliches Ergebnis zu erreichen.

Erstaunlich, was „LOG friendly“ bei irrtümlichen 32OOK leistet, aber die Grüntendenzen des Slog-2 Profils bleiben.
Erstaunlich, was „LOG friendly“ bei irrtümlichen 32OOK leistet, aber die Grüntendenzen des Slog-2 Profils bleiben.

Das sehr weiche Slog-3 einer Sony F55 benötigt nur etwas Nachhilfe.

Das sehr weiche Slog-3 einer Sony F55 benötigt nur etwas Nachhilfe.

Kommentar

Im schon weitgehend überbesetzten Feld der Looks und LUTs verfolgt EPICOLOR einen ganz neuen, wahrnehmungsbasierten Ansatz. Für einen „epischen“ Spielfilm wird man wohl eher zu stilisierten Looks greifen, das neue Werkzeug dagegen lässt Farben auf verblüffende Weise frisch, natürlich und lebendig wirken. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, es als „completely automatic“ zu bezeichnen, denn problematische Kameraprofile oder spezifische Farbfehler erfordern manuelle Eingriffe. Dann aber lassen sich selbst Log-Aufnahmen ohne großen Aufwand präsentabel aufbereiten.
Bei Filmprojekten, denen Zeit und Geld für aufwendiges manuelles Color Grading fehlt, ist dieses Plug-in eine große Hilfe. Doch selbst erfahrene Koloristen werden es zu schätzen wissen, wenn keine genormte Farbtafel aufgenommen wurde und man schnell zu neutralem Ausgangsmaterial für den eigenen Look kommen möchte.

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