Handpuppen-Handwerk und digitale Kunst

Svobodan sucht einen Psychiater auf. Er möchte endlich diese cholerische, fette Kröte auf seinem Kopf loswerden, was gar nicht so leicht ist. Das besondere Design der Charaktere und ihr ungewöhnlicher Animationsstil bescherten dem Kurzfilm „Ein Krötenlied“ im letzten Jahr eine animago-AWARD-Nominierung in der Kategorie „Bester Character“. Regisseur Kariem Saleh berichtete uns, wie sein Abschlussprojekt an der Filmakademie Baden-Württemberg entstanden ist. - von Mirja Fürst
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Ein Krötenlied

Wie prägt unsere Kindheit uns im Erwachsenenalter? Darum ging es ursprünglich in Kariem Salehs Abschlussfilm. Diesen Ansatz verwarf der Regisseur im Verlauf des Projekts jedoch für eine simplere Ausgangssituation: Dem Besuch bei einem Psychiater. „Ein Krötenlied“ beschreibt nun die Thematik, dass ein erwachsener Mensch nicht glücklich wird, solange er sein inneres Kind leugnet. „Wir arbeiteten zunächst an einer sehr viel komplexeren Geschichte, die aber vermutlich in dem zur Verfügung stehenden Zeitrahmen nicht stemmbar gewesen wäre.

Deshalb haben wir mehrfach von Neuem begonnen und versucht, das Konzept auf einen machbaren Rahmen herunter zu skalieren“, erinnert sich Kariem Saleh. Deshalb ging gut ein Jahr der insgesamt 3,5 Jahre währenden Produktionszeit für die Ideenfindung und die Konzeption drauf. Knapp drei Monate benötigte das Team, um einen Testshot zu produzieren und den Großteil der RnD zu realisieren. In den darauf folgenden zwei Jahren der eigentlichen Produktion nahm mit insgesamt zehn Monaten die Animationsarbeit die meiste Zeit in Anspruch.

Eine hohe Wechselrate

Insgesamt waren rund 50 Leute mit dem aufwendigen Projekt beschäftigt. Aber nie zur gleichen Zeit, da sich die Arbeit in viele verschiedene Phasen gliederte, die Producerin Alexandra Stautmeister koordinierte. Die größte Anzahl an Teammitgliedern, die gleichzeitig an dem Film arbeiteten, lag bei zehn Mann. Zu Beginn bestand das Kernteam aus drei Leuten, nach der RnD machten zwei der Teammitglieder ihr Diplom und zwei neue kamen zum Kernteam hinzu. Im Projektverlauf stießen immer wieder weitere Leute hinzu, um ein paar Tage, Wochen oder sogar Monate zu helfen. Zwischendurch musste das Projekt öfter unterbrochen werden, da die Teammitglieder Freelance-Jobs nachgingen und auch Kariem einen zweiten Kurzfilm als Auftragsarbeit produzierte. „Weil es kein Budget für Personal gab, waren fast alle Beteiligten Studenten. Es war nicht immer einfach, am Animationsinstitut neue Helfer zu finden, die Zeit für das Projekt hatten. Rückblickend kann ich sagen, dass das ständig wechselnde Team der größte Zeitfresser war, weil dadurch die Aufgabenverteilung und die Reviews viel Aufwand waren, damit am Ende technisch und gestalterisch konsistente Ergebnisse herauskamen. Ohne die Hilfe der zahlreichen Kommilitonen hätte ich das Projekt vermutlich irgendwann unvollendet abgebrochen, weil es nicht zu schaffen gewesen wäre“, ist sich Kariem sicher.

 

Haptische Hypnosemaschine

Bei dem Look sowie der Animation waren eine haptische Anmutung das Ziel. Deshalb baute das Team möglichst detailgetreu Miniatursets, die mithilfe von Photogrammetrie digitalisiert, finalisiert und in den Film integriert wurden. Auch das von Art Directorin Silke Finger entwickelte Farbkonzept für alle Setelemente und Charaktere unterstützte den haptischen Look.
Die Kreation der Miniatursets dauerte insgesamt sechs Wochen. Valentin Kemmner leitete dabei ein Team von rund vier bis fünf Helfern, die immer phasenweise mitarbeiten konnten. Das Geld für die Modellbau-Materialien stand den Studenten dank des Caligaris Preises des Filmakademie-Fördervereins zur Verfügung. Die meisten Baustoffe kaufte das Team, PU-Schaumblöcke wurden von der Stuttgarter Firma Paul Bauder GmbH gestellt. Um die Miniatursets maßstabsgetreu planen zu können, bauten die Studenten zunächst alles grob im Computer vor und plotteten dann Screenshots der einzelnen Elemente im Maßstab 1:2 als Bauvorlagen.
Das Modell der Hypnosemaschine war etwa 45 Zentimeter hoch, was 90 Zentimetern Höhe in der 3D-Szene entsprach. Die Oberflächen der Modelle wurden matt gehalten, damit in den Fotos für die Photogrammetrie keine Reflexionen auftraten. Denn da diese sich abhängig vom Betrachtungswinkel verändern, sind sie ein Problem für den Triangulierungsalgorithmus der Software Agisoft und führen zu Fehlern. „Wir kannten damals nur wenige professionelle Photogrammetrie-Software-Pakete, die ein für uns sinnvolles Lizenzmodell und Preis-Leistungs-Verhältnis besaßen. Cloudbasierte Lösungen kamen aufgrund der großen Menge an Scanprozessen nicht in Frage, dadurch wäre zu viel Zeit für Daten-Uploads draufgegangen. Außerdem ließen sich mit Agisoft Photoscan gut der Detailgrad und das Gesamtergebnis kontrollieren und der Zeitaufwand abschätzen“, so Kariem.
Das Ziel der Photogrammetrie war, möglichst präzise und detaillierte Scans zu erhalten. Dafür baute das Team einen elektronisch gesteuerten Drehteller, der das möglichst diffus von allen Seiten ausgeleuchtete Modell mithilfe eines Schrittmotors vor einem Greenscreen rotierte und dabei die fest ausgerichtete Fotokamera immer wieder auslöste. Anschließend durchliefen die Bilder einen automatischen Keying- und Despill-Prozess, sodass zu jedem Bild auch eine Alpha-Maske vorlag, die in Photoscan zur genaueren Analyse der Silhouetten genutzt wurde.

Im Anschluss wurde die extrahierte Geometrie in ZBrush nochmals überarbeitet sowie Artefakte entfernt, das Modell in Softimage retopologisiert und eine Lowpoly-Version davon erzeugt. In Mudbox ließen sich danach die Texturen vom Highres-Modell auf das UV-Layout des Lowpoly-Objektes übertragen. Außerdem generierten die Artists aus der Differenz zwischen High- und Low-Geometrie eine Displacement Map, die als Shading-Basis in Houdini mit Arnold zum Einsatz kam.

Keksmonster und Schweinchen-Apparat

Neben den real gebauten und gescannten Sets nutzte das Team die Bewegung von Handpuppen als Basis für die Animation von groben 3D-Charakteren, die im weiteren Projektverlauf über traditionelle Keyframe-Animation an den finalen Modellen verfeinert wurde. Die Prämisse der im Computer modellierten 3D-Figuren war deshalb, dass sie von den Grundproportionen her auch als Handpuppen funktionieren: Der Psychiater besitzt 25 Zentimeter und Svobodan ist 60 Zentimeter groß. Darüber hinaus vertraute das Team bezüglich des Character Designs voll und ganz auf die Künste von Designerin Jelena Walf, die ihren speziellen Stil bereits bei zahlreichen Buch- und Illustrationsprojekten bewiesen hatte. So waren nur wenige Zeichnungen und Entwürfe nötig, bis die finalen Vorlagen für die 3D-Charaktere gefunden waren. Herausfordernd war beim Anfertigen der 3D-Modelle wiederum, den Charme der grafischen Zeichnungen zu erhalten.

„Für die Animation der Charaktere entwickelten wir einen mechanischen Datenhandschuh, den Piggy Device, der die Live-Übertragung der Handpuppenbewegungen in Maya auf die Charaktere erlaubte. Dieses Vorgehen sorgte für einen markanten Animationslook, weil viele Details und Happy Accidents direkt aus dem Live-Spiel übernommen werden konnten. Über eine reine Pose-to-Pose-Animation wäre das Fehlerhafte und Spontane schwer erzeugbar gewesen“, erklärt Kariem. Nach dem Motion Capturing mit dem Piggy Device wurde das Material gecleant und so lange überarbeitet, also bestimmte Dinge geretimet, entfernt oder verstärkt, bis eine solide Basis vorlag. Ein zweites Rig war mit den Capturing-Daten verbunden und bewegte sich mit ihnen mit. Es war ein klassisches Maya-Skelett, bei dem ganz normal Handles animiert wurden – also quasi eine Offset-Animation. Im dritten Animationsschritt kamen Facial Animation und Secondaries hinzu. Sascha Langer baute einen Großteil der Character Rigs. Am Ende hatte das Team für den kompletten Film 13 Charaktere erstellt.

Nützliche alte Spielekonsole

Im Piggy Device, das für das Handpuppenspiel genutzt wurde, sind am Ellenbogen und am Kiefer Drehpotentiometer (Anm.d.Red.: elektrisches Widerstandsbauelement, dessen Widerstandswerte mechanisch veränderbar sind) verbaut, die als analoge Sensoren ein Spannungssignal an den Arduino Controller senden. Die Kopfrotation sowie die Oberarmstellung wurden von digitalen 9-DOF (degrees of freedom) Sensoren gemessen, wie sie auch in Smartphones verbaut sind. „Das Capturen der Positionierung im Raum wurde durch ein Bauteil möglich, welches Florian Greth in einem alten Spielekonsolen-Controller entdeckt hatte: ein sogenannter Seilzugsensor, der mit einem kleinen Joystick kombiniert war. Dabei wurde eine Nylonschnur aus einer Spule herausgezogen – in etwa wie bei einem Staubsaugerkabel. Über die Anzahl der Umdrehungen, die die Spule dabei vollzog, ließ sich die Entfernung des herausgezogenen Schnurendes zum Sensor ermitteln. Die Schnur lief dabei durch einen kleinen Joystick, der nach vorne, hinten oder zu den Seiten kippen konnte. So war es ebenfalls möglich, die exakte Richtung der herausgezogenen Schnur zu messen. Mit diesen Daten konnten wir jederzeit den Punkt im Raum bemessen, an dem sich das Ende der Schnur befand, sodass wir ihn nur noch am Kopf des Piggy Devices befestigen mussten“, erläutert Kariem.

Danach sammelte der Arduino Micro Controller alle Daten und sendete über eine USB-Verbindung 50 Mal in der Sekunde einen String aus Zahlen an den Computer. Um den Datenstring in Maya empfangen, in seine Bestandteile zerlegen und die Transformations- und Rotationswerte umwandeln zu können, die dann auf die Character-Rigs gemappt wurden, entwickelte Amit Rojtblat ein Maya-Plug-in, welches das Team “Cookie Monster” taufte. Das Plug-in besitzt ein Interface, mit dem sich verschiedene Takes eines Shots aufzeichnen lassen, wobei für jedes Attribut eine Animationskurve aufgezeichnet wird. So konnte nachträglich beispielsweise der Arm von Take A mit dem Kopf von Take B kombiniert werden.
Die mechanische Konstruktion „Piggy Device“ sowie das eigens entwickelte Maya-Plug-in „Cookie Monster“ erhielten ihre
internen Namen übrigens in Anlehnung an Puppenspieler Jim Henson („Muppet Show“, „Sesamstraße“, „Die Fraggles“).

 

Weniger – eine gute Basis

Die Entscheidung, beim Lighting, Shading und Rendering mit Arnold in Houdini zu arbeiten, traf Lighting und Shading TD Vincent Ullmann, der bereits viel Erfahrung mit Arnold und Softimage gesammelt hatte und gerne Arnold unter Houdini testen wollte. Kariem dazu: „Ein großer Vorteil von Arnold ist das sehr logische physikalische Shadermodell und die physikalisch korrekten Ergebnisse. Man kann hier sehr gut Änderungen vornehmen, da man mit recht wenigen Lichtquellen bereits eine gute Grundlage erzielt.“
„Ein Krötenlied“ gewann seit seinem Release diverse Auszeichnungen, unter anderem den „Best in Show“-Preis auf der Siggraph 2017, und gehörte auch zu den knapp 63 eingereichten Projekten für die Oscar-Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“.

 

Über Kariem Saleh

Erste Erfahrungen als Filmemacher sammelte Kariem Saleh in seiner Heimatstadt Clausthal-Zellerfeld, wo er an der Technischen Universität im Schüler-Praktikum als Cutter und Regisseur an der Realisation von Lehrfilmen beteiligt war. 2OO7 absolvierte er das Summer-Program der “USC School of Cinematic Arts” in Los Angeles und ein Praktikum in den Stan Winston Studios in Van Nuys. Darauf folgte ein sechsmonatiges Praktikum in den Rise Visual Effects Studios in Berlin.
Von 2OO9 bis 2O15 studierte Kariem Saleh an der Filmakademie in Ludwigsburg. In dieser Zeit entstanden mehrere szenische wie auch animierte Kurzfilme, innerhalb und außerhalb des Studiums, die Saleh als Autor und Regisseur realisierte. Neben seiner Tätigkeit als Autor und Regisseur arbeitet Saleh seit über acht Jahren als VFX-Artist an deutschen und internationalen Kinoproduktionen, derzeit für Rise FX in Berlin. In diesem Jahr möchte er mit Kollegen aus dem Animations- und Make-up-Effects-Bereich die Firma “RainDogs Gbr” gründen (www.raindogs-berlin.com). Ziel ist es, Auftragsarbeiten in den Bereichen Animation, VFX und Film sowie Make-up-, Miniatur- und Animatronic-Effects anbieten zu können. Auch hinsichtlich Kurzfilm-Produktionen und VR sind eigene Projekte geplant. Der Grundgedanke bei allem wird – wie schon bei „Ein Krötenlied“ – sein, möglichst viel handwerklich zu bauen und die Vorzüge von Practical Effects, Set- und Figurenbau mit der digitalen Welt der Animation zu kombinieren.
Mehr Infos unter: www.kariemsaleh.de

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