M.I.L.K. – Back to Reality

Der Film erzählt von der Verwandlung einer Insel vom Zoetrop zur rotierenden „Sahnetorte“. Die Siedler sind Bullen, Bären, fleißige Indianer, Cowboys, Ritter, Kardinäle und andere gekrönte Häupter. Sie erleben eine Karussellfahrt mit steilen Aufstiegen und Milch im Überfluss ... aber nicht genügend Platz für jeden.
M.I.L.K. – Eine 2D/3D-Zoetrop-Reise durch Kulturen und Dimensionen … und Back to Reality
M.I.L.K. – Eine 2D/3D-Zoetrop-Reise durch Kulturen und Dimensionen … und Back to Reality

Die Idee zum Film entstand bereits irgendwo zwischen unseren Bandproben und der Pixar-Jubiläumsausstellung in Bonn, wo ein Zoetrop mit den Figuren aus „Toy-Story“ präsentiert wurde. Auf der Suche nach möglichen Musikvideo-Motiven für einen nach Südstaatenrock klingenden Song war es vielleicht auch der reitende Cowboy Woody mit seinem Stetson-Hut, der das Ganze zusätzlich ins Rollen brachte. In dem nächsten Projekt sollte es einen rotierenden Hut geben, auf dem in mehreren Etagen zyklisch animierte Figuren komische Sachen machen … und dabei eine Geschichte erzählen.

„… und warum 3D?“

Ein echtes Zoetrop hat allerdings einen Nachteil. Die Handlung beschränkt sich naturgemäß auf die Dauer einer Umdrehung, was einer länger anhaltenden Erzählung nicht förderlich ist. Die Animationen auf den einzelnen Etagen sollten sich nach unserer Vorstellung im Lauf der Geschichte mehrfach ändern. An der Hutkrempe, quasi dem Ufer der rotierenden Insel, sollten immer neue Eroberer auftauchen, die von Ebene zu Ebene eine Veränderung oder den Austausch der zyklischen Handlung auslösen. Damit war klar: So ein Wechsel der Animationen ließ sich nicht mit einem real abgefilmten Zoetrop im Rotationsbetrieb bewerkstelligen, sondern nur mit 3D-Animation.
Unsere Protagonisten sollten 2D-Cartoon-Charakter haben und wie Papierfiguren im 3D-Raum auf ein Karussell gestellt werden. Die ersten Arbeiten am Film entstanden in einem Mix aus klassischen Handzeichnungen und Digital Paintings am Grafik-Tablet, bevor sie mit Photoshop reingezeichnet und mit Adobe Animate animiert wurden. Die daraus exportierten PNG-Stapel wurden dann in After Effects zweifach nachbearbeitet und sowohl als Outline für die Aufsteller als auch als entsprechende Bildtextur für Cinema 4D ausgegeben. Dort erfolgte die kreisförmige Anordnung der in Aufsteller verwandel­ten Figurenposen auf ein stufenförmiges, zur Torte morphendes, rotierendes Hutmodell, wo sie Szene für Szene getauscht und dabei mittels Kamerafahrten abgefilmt werden sollten. Für die Nachbearbeitung kamen zuletzt noch einmal After Effects und Premiere zum Einsatz.
Gearbeitet wurde auf ein bis zwei 27“-iMacs mit 24 Gbyte Speicher und GTX 780M Grafikkarte. Als es in Richtung Festival-Deadline eng wurde mit dem Rendern, kam noch ein Mac mini dazu.

Story, 2D, 3D … fertig

Die Geschichte würde also auf einem rotierenden Hut spielen, der nach und nach wie eine Insel besiedelt wird. Auf ihr sollte es quasi Themen-Etagen wie „Ankunft / Ufer“, „Jagd“, „Arbeit“, „Feuer“, „Wohnen“ und „Herrschen“ geben. Ganz oben wohnt eine Kuh, die der ganzen Insel – mal frei verfügbar, mal privatisiert – ihre Milch spendiert, die am Ende die ganze Insel in Sahne zu einer Torte versinken lässt.
In monatelanger Arbeit entstand schließlich ein „Drehbuch“ in Form einer großen Pinnwand mit einem Koordinatensystem aus Notizzetteln, in der Höhe sieben und in der Breite 17, welche stichpunktartig die Handlung der auf sieben Etagen stattfindenden Aktionen wiedergaben, die später 17-mal ausgewechselt werden sollten.

Storyboard – Nein, danke!

Selbstverständlich benötigten wir für einen solchen Animationsfilm mit 17 x 7 Animationszyklen eine Übersicht über den Handlungsverlauf, allerdings machte ein klassisches Board mit seinen Schnittanweisungen keinen Sinn, da wir erst später von Szene zu Szene entscheiden wollten, wie wir mit der Kamera über das jeweilige Geschehen auf dem Zoetrop schwenken würden. Vielmehr entstanden 17 hochformatige Skizzen, auf denen übereinander die sieben Etagen mit ihren Animationen gezeichnet und jeweils in einer Szene zusammengefasst wurden. Die Kamera sollte später, mit einigen Ausnahmen, die Etagen von unten nach oben (oder umgekehrt), jeweils als eine Szene abfahren, wobei die Figuren-Aufsteller beim Vorüberschwenken von der alten in die jeweils neue Animation umgeklappt werden sollten.

Erstmal alles in 2D!

Nach diesem skizzierten Drehbuch wurden die Key-Posen der Aktionen zunächst wieder ganz klassisch mit der Hand vorgezeichnet und am Grafik-Tablet reingezeichnet. Die PSDs importierten und vektorisierten wir in Adobe Animate, wo sie dabei größtenteils in mehrere Bestandteile zerlegt und animiert wurden. Da durch die Rotation des Zoetrops ausschließlich wiederkehrende Animationszyklen möglich waren, entschieden wir uns pro Animation für 12 Zeichnungen, da diese Zahl gleichzeitig auch teilbar in z.B. (3x)4 Zeichnungen zur Darstellung für das Flackern von Feuer oder (2x)6 Zeichnungen für das Schwenken einer Milchflasche oder das Auf- und Abhüpfen in einer Badewanne war. Die Animationen würden durchweg „auf Zweien“, also mit 12 fps ablaufen.

Vorbereitung für Cinema 4D

Die gezeichneten Animationen sollten später wie Papiermotive im Kreis angeordnet auf den Etagen des „Hut-Podests“ stehen. Dafür wurden die durch Animate ausgegebenen PNG-Stapel in After Effects importiert und zunächst zur Referenzgrößen-Vereinheitlichung in ein quadratisches Umformat gepackt und anschließend zweifach weiterverarbeitet: Für die spätere Verwendung in Cinema 4D entstand zum einen ein Stapel mit farblich etwas modifizierten Bildtexturen und zum anderen ein Stapel mit schwarzweißen Alpha-Schablonen mit etwas Randzugabe als Outline für die spätere Erstellung der Pappaufsteller, die einen kleinen weißen Rand um das gezeichnete Motiv bekommen sollten.

Mittels Vectorizer und Extrude wurden in C4D dann die Alpha-Schablonen zu dreidimensionalen Aufstellern, auf die das jeweilige Bildmotiv texturiert wurde. Um diese Pappkameraden dann im Kreis aufzustellen, wurde ein radialer Cloner mit 12 Objekten angelegt, welchem zur besseren Kontrolle wiederum die 12 Aufsteller untergeordnet wurden. Als Luxuszugabe wurde noch ein kleiner Controller zur Steuerung der Drehung und des Radius der Objekte und des Cloners gebastelt. Jeder dieser so entstandenen Animationsringe wurde dann als einzelne Szene abgespeichert, um sie später als Xref in die große Master-Szene einzufügen. So konnten Änderungen in dieser kleinen Szene vorgenommen werden.

Die Mutter aller Szenen

Um die Eroberung der sich drehenden Insel zu erzählen, sollten Szene für Szene Kameras von einer Etage zur anderen fahren oder schwenken und dabei die Animationen durch Umklappen der Motive wechseln. Dafür wurden alle etwa 120 Animationsringe mit ihren 12 Posen in eine große Master-Szene importiert, im Ebenen-Manager sortiert, farbig nach Szenennummern und Etage gekennzeichnet und für das sukzessive Ein- und Ausblenden im Viewport organisiert.

Auch die etwa 1.400 (12 x 7 x 17) Texturbilder mit den Einzelzeichnungen wurden im Materialmanager in Ebenen untergebracht, damit der nicht explodierte.
Da die Animationen je nach Etage nicht zwangsläufig auf der Stelle ablaufen, sondern sich durchaus mal links und mal rechts um das Zoetrop bewegen sollten, wurden 4 bis 5 unterschiedlich drehende Zylinder als Standmusterpodeste per Constraints mit einem den Objekten übergeordneten Etagen-Nullobjekt verbunden. Diese Zylinder dienten, nachdem sie in Höhe und Größe feinjustiert waren, auch als Vorlage für das Hut-Modell, das per Point-Animation vom Cowboyhut zum Tortenpodest morphen würde, und wurden später ausgeblendet.

Kamerafahrten als Geschichtenerzähler

Nach diesen aufwendigen Vorbereitungen konnte es losgehen. Per Kamerafahrten, -schwenks und -blenden wurde die Geschichte Szene für Szene erzählt. In wochenlanger Arbeit wurden, auf den Groove der geplanten Filmmusik abgestimmt, die animierten Objekte mit Kameras im Wechsel zwischen Totalen und Naheinstellung überflogen und dabei im richtigen Moment
umgeklappt bzw. ausgetauscht und als Filmszene abgespeichert. So richtig Gehirnschmalz kostete es vor allem dann, wenn zwei gegeneinander rotierende Ebenenaktionen interagierten, wie z.B. die kämpfenden Turnierritter.

Für den finalen Look der gerenderten Bilder legten wir weniger Wert auf einen physikalisch überkorrekten Schatten, vielmehr sollte es etwas Dreck in den Nischen durch Ambient Occlusion geben, und wichtig war uns der Aspekt der Tiefenschärfe, um das Gewusel der verschiedenen Animationen optisch in den Griff zu bekommen.

„Ein Zoetrop flackert nun mal!“

Die Postproduktion erfolgte in After Effects und Premiere. Beim Betrachten eines echten Zoetrops entsteht durch das für den Daumenkinoeffekt notwendige Stroboskoplicht immer ein Flackern, das wir, verstärkt vor allem beim Starten und Bremsen des Karussells, simulieren wollten. Dafür wurden die aus C4D mit 12 fps gerenderten Files in After Effects mit 24 fps verarbeitet und jedes zweite Bild durch Animation der Belichtung abgedunkelt. Für einen zusätzlichen Fokus auf das Bildzentrum wurde außerdem eine Vignettenmaske angelegt. Der Filmschnitt erfolgte schließlich in Premiere, wo lediglich noch eine leichte Farbkorrektur vorgenommen wurde.

Die Komplexität der letztlich entstandenen Geschichte, die an Objekten, Texturen und Ebenen überbordende Master-Szene und das nicht ganz triviale Timing der Kameras zum geplanten groovenden Soundtrack brachte uns hier und da an unsere Grenzen. Aber alles in allem ließ sich das Projekt wie geplant und ohne nennenswerte Probleme durchführen, möglicherweise auch Dank der guten Planung und schlanken Teamgröße.

Back to Reality

Am Ende blieb noch Energie übrig, eine Szene aus dem Film zurück aus dem virtuellen Raum in die Realität zu bringen. Mehr als 80 Motive wurden auf Fotopapier ausgedruckt, auf MDF aufgezogen, mithilfe der aus den Alpha-Schablonen gewonnenen Outline-­Vektoren ausgelasert und auf ein treppenförmiges Karussell aufgeleimt. Dieses wird durch einen tempogesteuerten Motor in eine gleichmäßige Rotation versetzt und durch ein Stroboskoplicht aus LED-Platten erleuchtet. Das Ding hatte Premiere im Rahmen der Offenen Ateliers Köln Ende September 2018. Seit Dezember steht es im Kulturhaus Strandhaus Ahr in Voerde bei Dinslaken. Danach soll es weiter auf Tournee gehen. Der aktuelle Standort wird frühzeitig auf unserer Homepage bekannt gegeben.
Als Nebenprodukt ist zu guter Letzt noch ein illustriertes Buch mit der Geschichte des Films erzählt aus der Sicht des Bären Butch entstanden, das zur Zeit nur in übersichtlicher Unikat-Menge existiert und noch auf einen Verleger wartet …

Stefan Eling
Als Inhaber eines kleinen Studios in Köln beschäftigen sich Stefan Eling und sein Team seit etwa 25 Jahren mit allen Dingen, die sowohl zur Produktion professioneller Animationsfilme als auch zur Erstellung anspruchsvoller Illustrationen gehören.

Maxon Feature

Maxon Feature

TEILEN
Vorheriger ArtikelMaking-of „Grüner Stoff"
Warum sitzen Vögel eigentlich so gerne auf Stromleitungen? Der Full-CG-Spot „Guter Stoff“ für den Stromanbieter EnBW gibt darauf eine lustige Antwort: Der grüne Strom liefert ihnen den besten Stoff, um high zu werden. Beim diesjährigen animago AWARD räumte der freche Film, den das deutsche Studio Sehsucht realisierte und die Agentur Jung von Matt konzipierte, in der Kategorie „Beste Werbeproduktion“ die Trophäe ab.
Nächster ArtikelShading, Lighting & Rendering mit Cinema 4D R19 (Teil 5)

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.