Nachts, wenn die Monster kommen – Making-of „La Noria“

Horror ist ein sehr selten gewähltes Genre für Animationsfilme. Carlos Baena vom Studio NightWheel Pictures ist dieses Wagnis für ein persönliches Projekt eingegangen. Mit Erfolg: Beim diesjährigen animago AWARD wurde sein 12-minütiger Kurzfilm „La Noria“ mit dem Jury-Preis ausgezeichnet.

Ein Junge, der gerne Riesenräder zeichnet und baut, trifft nachts auf fremde Kreaturen, die ihm erst Angst einjagen und dann sein Leben auf den Kopf stellen. „La Noria“ ist eine persönliche Vision über Monster, Trauer und Erinnerungen. Dabei präsentiert die Geschichte auf interessante Weise Bruchstücke, die am Ende auf unerwartete Art zusammenkommen. Carlos Baena schrieb die Story des Films, führte Regie und realisierte das Editing.
Das Thema Monster faszinierte den 3D-Artist schon seit seiner Kindheit: „Von Frankensteins Monster, dessen anfängliche Unschuld in einer Tragödie endet, bis hin zu einem außerirdischen Überlebensorganismus ohne Gewissen: Für mich hat sich die Bedeutung dieser Kreaturen im Laufe meines Lebens immer wieder verändert, je nachdem in welcher Situation ich mich befand. Manchmal deutete ich sie als emotionale Befreiung, zu anderen Zeiten habe ich mit ihrer Hilfe dunkle Seiten in mir erkundet. Das wollte ich in dem Film zeigen.“ Ein weiteres inhaltliches Kernstück von „La Noria“ ist das Konzept der Verwundbarkeit und Unschuld. „Jeder kennt Zeiten im Leben, in denen alles schiefgeht und man einen Tiefpunkt erreicht. Dann braucht es Kraft, um wieder aufzustehen. Und beim Finden des Weges muss man sich dem Unbekannten stellen, was sehr furchterregend sein kann. Nachdem ich mich in einer ähnlichen Situation befunden hatte, wollte ich immer eine Geschichte über diese emotionale Reise auf visuelle, dunkle und poetische Weise erzählen.“ Im Jahr 2010 begann Carlos mit der Arbeit an dieser Story.
Der Artist besaß zu diesem Zeitpunkt bereits viele Jahre Erfahrung in der Arbeit an animierten Kinder-Feature-Filmen. So sehr ihm dies gefiel, er war dennoch auf der Suche nach einer kreativen Veränderung, weshalb er an einem düstereren Film mit einem psychologischen Ton arbeiten wollte: „Der Film erklärt nicht jeden Aspekt der Geschichte und vieles wird nur unterbewusst suggeriert. In einigen Punkten folgt er einem normalen Storytelling-Ansatz, anderes fällt in den psychologischen Bereich.“ Im Prozessverlauf sind mehrere Pfade der Geschichte entstanden, dabei wurden Informationen in einigen Fällen zurückgehalten, in anderen Informationen hinzugefügt. „Für Kinder gibt es schon sehr viele wundervolle Animationsfilme. Für Erwachsene, insbesondere im Horrorbereich, existieren dagegen kaum welche. Deshalb fühlte ich mich richtiggehend verpflichtet, meine Idee umzusetzen, um das Spektrum von Animationsfilmen zu erweitern. Ermutigend fand ich, dass andere Kollegen das ähnlich sahen“, so Carlos.
An der Handlung arbeitete Carlos zunächst alleine. „Erst als ich an einem Punkt war, wo ich die Story pitchen konnte, ließ ich mir von Freunden helfen.“ Als Inspiration dienten Horrorfilme, die nicht bloß auf reine Schockmomente setzen, sondern deren Tiefe zum Nachdenken anregt. Dazu zählten beispielsweise Victor Erices „Der Geist des Bienenstocks“, Kim Jee-woons „A tale of two sisters“, Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“, Peter Medaks „The Changeling“, Tomas Alfredsons „Let the right one in“ und Stanley Kubricks „The Shining“.

Internationales Independent-Engagement

2011 erklomm das Projekt die nächste Stufe, als Carlos die Produzentin Sasha Korellis traf. Sie befand sich damals ebenfalls an einem kreativen Scheideweg und wollte etwas anderes machen. Aufgrund seiner Andersartigkeit wollte kein Studio den Film produzieren, und das billigste Angebot von einem CG-Studio, welches das Team für eine Realisierung erhielt, lag bei 1,2 Millionen Dollar. Deshalb war dem Duo sehr schnell klar, dass „La Noria“ ein No-Budget-Projekt werden würde. „Nachdem mein Gespartes von rund 150.000 Euro bereits in der Preproduktionsphase verbraucht war, mussten wir zunächst herausfinden, wie wir die eigentliche Produktion ohne Finanzierung und Studio-Ressourcen stemmen können“, erinnert sich Carlos.

Concept Art für den Film
Concept Art für den Film

Der Regisseur pitchte die Filmidee zunächst bei zahlreichen Software-Firmen. Sie alle glaubten an das Projekt und sponserten deshalb Lizenzen. Dazu zählte Autodesk, The Foundry sowie Summus Render, eine Cloud-Render-Firma aus Madrid. Auch die 3D-Community überzeugte Carlos Vision, so konnte das Duo sämtliche Talente aus der ganzen Welt für die Produktion des ambitionierten Kurzfilms gewinnen. Die einzigen Projektphasen, die Carlos mit seinem Team Face-to-Face realisieren konnte, waren die Story-­Entwicklung sowie das Sound Design und Mixing, das bei den Studios Oriol Tarrago und Deluxe in Barcelona lief. Alles andere lief online und remote.

Concept Art für den Film
Concept Art für den Film

Insgesamt steuerten Carlos und Sasha bis zur Finalisierung des Projekts 200.000 Euro aus privatem Budget für das Projekt bei. Zusätzlich generierten sie über eine Indiegogo-Kampagne rund 65.000 Euro, von diesem Geld blieben nach Abzug von Steuern und Indiegogo-Gebühren noch etwa 50.000 Euro.

Remote-Pipeline

Da die rund 200 Artists aus über 30 Ländern in ihrer Freizeit remote zusammenarbeiten mussten, schafften Carlos und Sasha die dafür geeignete Arbeitsumgebung. Als Animationssoftware diente Maya, für das Rendering und Compositing entschied sich das Team für Arnold und Nuke, weil sie viele gute Dinge über diese Kombination gehört hatten. Nachdem die Pipeline stabil lief, blieben sie bei den Tools. Das größte Update erfuhr die Pipeline, als von Maya 2012 auf die 2015-Version geswitcht wurde. Nötig war dies vor allem wegen der Problematik von Maya 2012, dass sich aufgrund von beschädigten Referenz-Assets keine einzelnen Shots rendern ließen. „Wir mussten deshalb einige Shots neu bauen und auf Maya 2015 updaten, was mehrere Monate in Anspruch nahm“, so Carlos.

Insgesamt erstellte das Team für die aufwendige Kulisse 2O6 Props und Dekorelemente.
Insgesamt erstellte das Team für die aufwendige Kulisse 2O6 Props und Dekorelemente.

Für den finalen Look gesellten sich zu den Main-Softwarepaketen noch zahlreiche Plug-ins wie Joe Alters Shave&Haircut für das Haar-Grooming und PgBokeh von Peregrine Labs für Depth-of-Field-Effekte im Compositing. Trotz der vielen Veränderungen, die die Pipeline durchlief, hielt das Team konsequent an dem Look fest, den es zu Beginn festgelegt hatte, und wartete mit dem Rendering bis zu den letzten zwei bis drei Monaten. So blieb die visuelle Kontinuität erhalten. Der Rest erfolgte in der Farbkorrektur. Damit alle Artists immer einheitlich bezüglich der Lizenzen und Softwareversionen blieben, erstellte VFX-Supervisor Yasin Hasanian benutzerdefinierte Launcher. Für die Organisation nutzte das Team zwei File-Management-Tools: Zunächst eine frühe Alpha-Version einer Software, die heute als Artella bekannt ist. Das Team nannte sie damals AMP. Sie begleitete den Prozess vom Modeling und Layout bis hin zu Animation und Lighting. Für das Compositing nutzte das Team eine Standardlösung namens Box, mit der sich auch Tools für die Compositing-Pipeline schreiben ließen.

Für das Lighting kamen Key- und Falling-off-Lights sowie eine lokale Beleuchtung zum Einsatz.
Für das Lighting kamen Key- und Falling-off-Lights sowie eine lokale Beleuchtung zum Einsatz.

Gerendert wurde der Film online mit dem Summus Renderer. Dabei schätzte Carlos vor allem den persönlichen Support und die direkte Kommunikation: „Sie waren immer bereit uns zu helfen, bis wir Dinge herausgefunden hatten. Ich würde Summus sofort jedem empfehlen.“ Für die regelmäßigen Web-Konferenzen verwendete das Team zunächst Skype. Weil das Tool aber nicht genügend Optionen für das Hinzufügen mehrerer User sowie das Teilen von Screens bot, wechselten sie auf GoToMeeting für einige Jahre. 2015 endeten sie mit Zoom, die Kommunikation lief die letzten drei Jahre des Projektprozesses über Slack.

Horror-Protagonisten

Eine Herausforderung bestand darin, den Film, insbesondere das Kind, optisch fotorealistisch zu gestalten und dabei nicht ins Uncanny Valley zu kommen. Um dies zu vermeiden führte das Team in der Vorproduktionsphase zahlreiche Rendering- und Shading-Tests durch. „Die Previs-Charaktere des Jungen und der Monster waren sehr grob gestaltet, weil wir nur irgendetwas für den Zweck der Previs brauchten. Währenddessen entwickelten wir das Design der Charaktere noch“, erläutert Carlos. In der Previs-Phase kam deshalb für den Jungen-Charakter ein fertig geriggtes 3D-Modell zum Einsatz.

Das Wichtigste für die Emotionalität des Protagonisten war die Gestaltung der Augen. Diese stilisierte das Team, um einen Uncanny-Valley-Effekt zu umgehen.
Das Wichtigste für die Emotionalität des Protagonisten war die Gestaltung der Augen. Diese stilisierte das Team, um einen Uncanny-Valley-Effekt zu umgehen.

Damit der finale CG-Junge die große Bandbreite an Emotionen wie Angst, Trauer und vieles mehr zeigen konnte, studierte das Team sowohl aus der Animationswelt sowie aus dem Live-Action-Bereich verschiedene Referenzen. Vor allem die Augen waren ein wichtiger Faktor für die Emotionalität: „Keinen Dialog im Film zu haben, zwang uns zur Entwicklung eines visuellen Augenausdrucks“, erläutert Carlos. Die Artists stilisierten die Augen etwas, damit kein Uncanny-Valley-Effekt entstand. Darüber hinaus identifizierten sie spezifische animationsunabhängige Elemente, die für mehr Leben in den Augen des Jungen sorgten, wie etwa ein Tränenfilm, Refraktion und Highlights.

Keine Fluchtmöglichkeit mehr: Der Junge muss sich seinen Monstern stellen.
Keine Fluchtmöglichkeit mehr: Der Junge muss sich seinen Monstern stellen.

In dem Film gibt es zahlreiche 3D-Monster. Eines bot jedoch eine größere Rigging-Challenge als seine Gruselkollegen. Denn das Rig wurde im Laufe des Prozesses viel zu komplex dafür, was das Monster im Film hätte tun müssen. Aber das Rig neu zu bauen war keine Option, erklärt Carlos: „Unglücklicherweise wäre das mehr Arbeit gewesen, als stattdessen einfach direkt mit der Animation zu beginnen. Für die Animatoren war die Arbeit mit dem Rig eine große Herausforderung. Aber gleichzeitig lernt man bei einem Projekt, das aus reiner Leidenschaft entsteht, jede Hilfe zu schätzen.“

Grusel-Kulisse

Auch das Set Dressing entpuppte sich als wesentlich komplexer, als anfangs vermutet. Einige der Animation Artists halfen deshalb bei der Setgestaltung bei komplexeren Shots aus. Am Ende kamen 206 Props und Dekorelemente für den finalen Film zusammen, die alle für den Zuschauer sichtbar sind. Bis das Team hinsichtlich der Beleuchtung wusste, was es wollte, waren zahlreiche Tests und Researching in der Vorbereitungsphase nötig. Für den angestrebten Horrorlook wurden schließlich Key-Lighting-Elemente, eine lokale Beleuchtung, Falling-off-Lights mit geringer Tiefe, niedrigem Tonwert und hohem Kontrast, Volumen und vieles mehr genutzt. Damit sich die Beleuchtung filmischer anfühlte, spielte vor allem DOF eine Schlüsselrolle.

Bis zum nächsten Etappenziel

Insgesamt sollte es sieben Jahre dauern, bis Carlos‘ Projekt „La Noria“ fertiggestellt war: „Nach einigen Jahren wurde mir klar, dass ich nicht an die Ziellinie denken darf, sondern es wie einen Marathon angehen und auf die nächste Wasserpause hinarbeiten muss.“ Wichtig war vor allem, die Motivation aufrechtzuerhalten – nicht nur die eigene, sondern die des ganzen Teams: „Ich glaube, der wichtigste Grund, warum so viele Leute bereit waren, uns zu helfen, war, weil wir bei jedem Meeting zu jeder Tages- und Nachtzeit präsent waren. Egal wie müde wir waren: Wir sind jeden Tag und jedes Wochenende aufgestanden und haben die Arbeit erledigt.“
Wann „La Noria“ online veröffentlicht wird, weiß Carlos noch nicht: „Aktuell läuft der Film auf Festivals in der ganzen Welt. Danach sollen die Indiegogo-Unterstützer den Film vor allen anderen zu sehen bekommen, da sie uns bei der Fertigstellung geholfen haben. Wir wollten einen Film mit einer ungewöhnlichen Erzählweise realisieren und wir hoffen, dass das Publikum den Film genauso genießt, wie wir die Arbeit daran.“

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