Zeitfeld – Martin Hoppe hält die Zeit an

The Matrix von den Wachowski-Geschwistern ist Filmgeschichte. Der Bullet Time-Effekt noch immer aufwendig und spektakulär.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der DIGITAL PRODUCTION 06 : 2020.

Es ist zwar schon eine Weile her, dass die Wachowski Brothers mit Matrix Filmgeschichte geschrieben haben, aber der Bullet Time Effekt ist immer noch aufwendig und spektakulär. Schon vor 7 Jahren hat Martin Hoppe sein erstes Rig mit 25 Kameras zusammengebaut und war mit verschiedenen Varianten vor allem auf Messen unterwegs. Durch Produktionen, die Instagram, Youtube und Co. adressieren, sind Fotografie und Film immer mehr zusammengerückt. Sie haben den Geschmack von Events bekommen, sozusagen shoot&post auch in der Profi-Ecke. Viele Producer, Fotografen und Filmer haben diese Drift teils mehr, teils weniger mitgemacht. Und einige haben dabei sogar ganz auf Social­-Media-Event umgeschwenkt. So ist auch Martin Hoppe, der Betreiber von Zeitfeld, im Eventbereich gelandet. Dabei waren die von ihm konzipierten und selbst programmierten DSLR-Kamerafelder ursprünglich dazu gedacht, den Bullet-Time-Effekt für High-End-Produktionen im Bereich TV und Kino zu erzeugen. Bullet-Time ist vielen spätestens seit „The Matrix“ ein Begriff: Mehrere Kameras lösen gleichzeitig aus, den Filmclips aus den einzelnen Frames fehlt dann die Zeit, Trinity und Neo hängen in Kampfpose eingefroren in der Luft. Bewegung ohne Zeit – etwas, das es eigentlich nicht geben kann.

Martin war Programmierer für Businessanwendungen, sein Bruder Christian ist ein international tätiger Fotograf, der unter dem Künstlernamen Seregel Marken wie New Yorker, Basler, Marc Cain fotografiert. Irgendwann hatte Christian dann auf seinem iPad die erste digitale Ausgabe der Vogue, und in der gab es animierte Fotos: männliches Model, Oberkörper frei, mit Haifischgebiss um den Hals. Wenn man das Gebiss antippte, klapperte und wackelte es, mit Geräusch.

Christian war klar, dass hier eine neue Ära eingeleitet wurde: bewegte Fotos. Er begann, sich nach coolen Ideen umzuschauen und fand den Bullet-Time-Effekt. Dann rief er Martin an, ob er ihm so etwas bauen könne. Der recherchierte und begann mit dem Bau eines Kamerafeldes mit Power­shots. Canon Powershots sind eigentlich nicht in der Lage, per externem Signal ausgelöst zu werden, doch dieses Problem ließ sich elegant umschiffen. Da das Betriebssystem der Powershots gehackt ist (CHDK = Canon Hacker Developer Kit), lassen sich die Cams mit Funktionen ausstatten, die sonst nur kompliziert oder teuer realisiert werden können. Beispielsweise kann eine Power­shot selbsttätig auslösen, wenn sich etwas vor der Kamera bewegt – eine integrierte Bewegungserkennung auf einer 250€-Kamera. Mit CHDK war es auch möglich, den Temperatursensor des Akkus als Fernauslöseeingang zu missbrauchen. Da die Kameras ja sowieso an Dauerstrom angeschlossen wurden, war der frei verfügbar.

Anfangs passierte es immer wieder mal, dass alle 50 Speicherkarten wegen eines Fehlers in der Programmierung herausgenommen, einzeln bespielt und wieder eingesteckt werden mussten. Schon bald aber war es möglich, auch die zugrundeliegende Software über teils mehrfach gestackte USB-Hubs an die Kameras zu verteilen. Nach diesem Durchbruch ging es schnell: die Kameras konnten per Software ausgelesen und vor allem gesteuert werden. Weißabgleich, Auflösung, Belichtungszeit, Blende und Download, alles wurde zentral steuerbar. Bei einer Produktion für Marc Cain lief das erste Kamerafeld erfolgreich im Test mit. Zeitfeld war geboren.

50 Kamera Rig

Inzwischen hat Zeitfeld die Technik so weit vorangetrieben, dass die Sequenzen direkt nach dem Auslösen fix und fertig stabilisiert aus dem Rechner fallen, und zwar unter Verwendung von RAW, mit Grading und, wenn gewünscht, auch mit Ein- und Ausgangsequenzen aus Highspeed-Kameras, also Slow-Motion. Nachdem die Anfrage einer Agentur nicht realisiert werden konnte, weil die JPG-Qualität der Powershots nicht ausreichte, wurde mit dem Bau eines Kamerafeldes der zweiten Generation begonnen. Die Powershots wurden teils in ein batteriebetriebenes, rollbares Rig im Steam-Punk-Stil eingebaut, für Guerilla-Aktionen und Mini-Events. Die neuen Kamerafelder bestehen jetzt aus DSLRs, die zudem über ein wesentlich schnelleres Gigabit-Ethernet verbunden werden.

DSLRs sind nicht dazu gebaut, wirklich zeitkritisch zu reagieren. Ob eine Kamera 0, 2, 10 oder vielleicht 40 Millisekunden nach dem Erhalt eines Auslösesignals reagiert, ist technisch nirgends beschrieben, schlimmer noch, die Kameras sind nicht konsistent. Die Systeme von Zeitfeld arbeiten deshalb mit Spiegelvorauslösung, um die definitiv auftretenden Variationen so gering wie möglich zu halten.

Durch ihre Architektur sind die Kamerafelder unbegrenzt skalierbar, ohne dass die Geschwindigkeit betroffen ist: Ob 10 oder 300 Kameras, ob 20 oder 6000 MB, die Zeit für den Download bleibt die gleiche, sie entspricht dem einer Kamera. Innerhalb von Sekunden sind die Bilder auf dem Rechner und ein fertiges Preview läuft auf einem Monitor. Das macht das Arbeiten am Set entspannt und effizient.

Das System ist typenoffen, es können sämtliche Kameramarken angeschlossen werden, auch Smartphones, so lange die Geräte PTP beherrschen, den Standard zur Übertragung von Bildern. An GPIO-Ports angeschlossene Sensoren wie Lichtschranken oder Schalldetektoren ermöglichen eine punktgenaue oder auch um beispielsweise 35ms verzögerte Auslösung. So kann etwa ein Ball in eine Lichtschranke gelegt werden und 35ms nachdem er geschossen wurde, wird ausgelöst. Das System kann auch Signale ausgeben, um irgendeine ­Aktion, etwa eine Explosion, zu triggern. Und weil die Software im Quellcode vorliegt, sind auch ungewöhnliche Anforderungen realisierbar. So wurde beispielsweise für einen Auftrag die Möglichkeit einer Doppelbelichtung geschaffen: zuerst mit 1/200tel belichtet, dann noch einmal mit z.B. 10 Sekunden. So wurden Bullet-Time-Bilder möglich, die ein Lichtmaler um schillernde Licht-Skulpturen ergänzte, die wie reale Objekte im Raum zu hängen schienen. Inzwischen ist es auch möglich, die Kameras zeitversetzt auszulösen, um einen leichten Slow-Motion-Effekt zu erzielen oder eine normale Kamerafahrt in irrwitziger Geschwindigkeit zu simulieren. Die Technik ist so schnell geworden, dass damit auch Produktionsformate möglich sind, die auf das direkte Streamen in Social-Media-Kanäle abzielen – noch aus dem Studio heraus. Ein großer Sportartikelhersteller beispielsweise lobte unter Storebesitzern einen Preis für das beste Konzept zum Thema Bullet-Time aus. Die Gewinner wurden nach Berlin zum Shooting eingeladen und natürlich angenehm verköstigt. Kundenbindung. Aus dem Studio heraus liefen die fertigen Sequenzen in die sozialen Kanäle, eine Art Popup-Shooting mit Bullet-Time.

Martin Hoppe beim vMix Call Interview vor seinem Powershot Rig.

Die Tatsache, dass die Resultate sofort als interaktive Bilder auf Smartphones ge­streamt werden können, hat dann irgendwann auch die Eventbranche angefixt. Zur Eröffnung des BIKINI-Hauses, einer Mall neben der Gedächtniskirche in Berlin, wurden 50 Kameras zehn Tage lang eingesetzt, um den Besuchern ihre persönlichen Bullet-­Time-Shots auf das Handy zu laden. Die Clips konnte man am Handybildschirm scrubben und gleich an Freunde posten, die dann auch zum Event gelockt wurden.

Das Bullet-Time Model Shooting (Fotograf: Seregel, Label: Marc Cain).

Werbung war für Zeitfeld nicht nötig: das Publikum war von dem Erlebnis so begeistert, die Streuung so groß, dass ­nahezu jeder Einsatz einen Folgeauftrag mit sich brachte. Und das bewirkte dann eben jene Eingangs erwähnte Drift in Richtung Eventbranche. Die Kamerafelder wurden dabei kleiner, denn ein 8-Meter-Ring mit 50 Kameras ist Eventagenturen auf der Suche einer Photobooth 2.0 meist zu teuer. Und mit den kleineren Kamerafeldern brummte es: Microsoft, Adidas, Reebok, Nike, Bangkok, Peking, Miami.

Licht-Skulpturen durch Kombination von Blitz und Langzeitbelichtung.

LuxMatrix

Parallel beschäftigt sich Zeitfeld ganz allgemein mit dem Thema „Zeit anhalten“. So wurde z.B. ein Controller entwickelt, der einen völlig neuartigen Effekt erzeugt: LuxMatrix. Ähnlich dem Bullet-Time wird auch hier gewissermaßen die Zeit eingefroren, allerdings bewegt sich nicht der Betrachter um das Motiv herum, sondern das Licht. Der LuxMatrix-Controller gibt ein Timing-Signal aus, zu dem eine Highspeed-Kamera mit bis zu 12.000 fps synchronisiert wird. Für jeden Frame wird dann ein anderer Blitz getriggert. Man erhält dadurch Frames, die alle das nahezu gleiche Motiv zeigen, aber mit unterschiedlicher Belichtung. In der Postproduktion lässt sich das dann zu einer Sequenz verarbeiten, die das Motiv aus einer Perspektive mit alternierenden Lichtsituationen zeigt. Durch Überblenden der Frames entsteht so ein Effekt, der Oberflächen hyperreal und wächsern erscheinen lässt und Assoziationen zu Madame Tussauds hervorruft. Als würde der Museumswärter mit seiner Lampe noch eine Runde um die Wachsfiguren drehen. Natürlich kann man damit auch Unbewegtes fotografieren. Schon der Prototyp des Controllers wurde für die Ablichtung von 120 der weltweit teuersten Fahrzeuge anlässlich der Grand Basel, einer Auskopplung der Art Basel, eingesetzt. Prämisse für den Auftrag: interaktive Bilder. Für das Projekt hat Zeitfeld 27 Studioblitze angeschafft.

Highspeed-Cablecam

Da er ja für die Bullet-Time sowieso schon eine Highspeed Kamera mit bis zu 30.000 FPS angeschafft hatte, kam Martin dann die Idee, diese Kamera an einem Seilsystem entlang zu fahren. Erste Tests mit 30 km/h haben schon interessante Ergebnisse erzielt. Nun ist er mit einem Hersteller in Kontakt, mit dem er bis zu 75 km/h realisieren will. Durch diese hohe Geschwindigkeit entsteht wieder ein Bullet-Time ähnlicher Effekt. Die Cablecam soll über per Sensoren erkannte Wegpunkt-Markierungen auf dem Kabel an präzisen Stellen auf der Fahrt über Funk bestimmte Aktionen auslösen können, zum Beispiel einen Wasserballon platzen zu lassen. So könnte wieder eine neue Art von spektakulären Aufnahmen entstehen. So lässt sich Martin Hoppe immer wieder etwas Neues einfallen. Zeit hat er im Moment genug, denn dann kam Corona. Events wurden abgesagt, Aufträge storniert, Anfragen nicht weiterverfolgt. So schnell lässt sich das Ruder natürlich auch nicht in Richtung Produktion herumreißen. Das Ende dieser langen, spannenden Reise?

Hoffentlich nicht. Um weiter zu bestehen, möchte sich Zeitfeld in ein laufendes Unternehmen integrieren, vollständig, mit Software, Technik, Ideen, Mann, Maus, Material. Ein Newsletter bat deshalb um Hilfe bei der Suche nach einem neuen Dach, unter dem Zeitfeld weiter betrieben werden könnte. Auch unsere Redaktion erreichte dieser Hilferuf.

Zur Disposition stehen nun also die gesamte Bullet-Time / Fotogrammmetrie-Technik aus Kameras, Trägersystemen, Monitoren, Licht und Rechnern mit Vernetzung und eine Highspeed-Kamera. Die hauseigene Software im Quellcode für die Kamerasteuerung und die Stabilisierung, die Software auf den Mikroprozessoren und Auslösesystemen etc. Und on top die LuxMatrix-Technik sowie das gesamte Knowhow mit der Manpower. Für die Akquise kommt auch das gesamte bisher produzierte Material mit.

Den Wunsch, wieder mehr in Richtung Produktion zu gehen, hegte Martin Hoppe übrigens schon vor Corona: „So schön es ist, wenn sich Besucher auf Events freuen, wenn sie sich selbst in komischen Positionen in der Luft hängen sehen … Ein inszeniertes Shooting, bei dem beispielsweise ein Schwimmer aus dem Wasser auftaucht und in einer Wassersäule regelrecht eingefroren wird, wird den ästhetischen Möglichkeiten der Technik einfach mehr gerecht“.

Inhaltlich ist Martin Hoppe für vieles offen. „Ich kann mir sowohl eine Anstellung als auch eine dauerhafte, exklusive Integration oder Kooperation mit beispielsweise einer Agentur, einem Fotostudio, einem VFX-Unternehmen etc. vorstellen, vorzugsweise in Berlin. Spannend fände ich ein Unternehmen, das die Möglichkeiten der kommenden Unreal Engine 5 für den Film erkannt hat. Das erkennt, dass Fotogrammetrie ein noch wichtigeres Element im Film wird. Denn an den Themen der Zukunft mitwerkeln, das war schon immer meins.“

 

Das DSLR-Kamerafeld mit Canon 700D Kameras.

Zeitfeld on Tour

Gerade bei diesem Thema können Fotos nicht wirklich einen Eindruck geben. Deshalb hat Martin die Showreel Webseite www.zeit-feld.de/dp für diesen Artikel eingerichtet. Außerdem findet ihr ein Interview, das ich mit ihm online geführt habe, auf meiner Postproduction-Tutorial Seite.

Martin denkt auch gerade über eine kleine Tour nach. Wenn wir bis November genug Anfragen haben, will er sein großes Setup für einige Tage in einer Location in Mannheim aufbauen, damit man auch ohne riesige Budgets und Reisen nach Berlin in den Genuss einer Bullet-Time oder LuxMatrix kommen kann. Die genauen Termine und Preise werden wir auf der Webseite bekannt geben.

Die LuxMatrix Bilder vom blauen Bugatti der Grand Basel.

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