Framestore tötet Tom Cruise | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 06:2014 schauten wir nach London – und auf die Effekte der Sci-Fi-Perle „Edge of Tomorrow“, in der Tom Cruise tausend Tode stirbt.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der DP 06 : 2014.

Nachdem wir in Ausgabe O2/14 Framestore Kanada betrachtet haben, schauen wir dieses Mal nach London. Dort wurden die Effekte für den AlienZeitreise-Shooter „Edge of Tomorrow“ produziert, in dem Tom Cruise oft stirbt. Wir sprachen mit Isabell Mayrhofer, VFX-Production Coordinator und SAE-Absolventin, über Werdegang, Ausbildung und wie man das Gelernte heute anwendet.

Nahe der bekannten Oxford Street in London residiert das 1986 gegründete Studio Framestore. Bis heute gibt es wenige große Filme, an denen Framestore nicht zumindest teilweise beteiligt ist. Von „Avatar“ über „Harry Potter“ und „James Bond“ bis hin zu „X-Men“ – dazu gab es Oscars für „Der Goldene Kompass“ und zuletzt „Gravity“ sowie Nominierungen für „Dark Knight“ und „Superman Returns“, BAFTAs und vieles mehr. Das aktuellste Projekt in den Kinos ist „Edge of Tomorrow“, bei dem Regisseur Doug Liman – zusammen mit Framestore und Cinesite, SPI, Nvizible, PeanutFX sowie Prime Focus – Europa von Aliens annektieren lässt.

DP: Isabell, du warst an „Edge of Tomorrow“ für Framestore als VFX-Production Coordinator beteiligt. Was waren deine Aufgaben und welche Erfahrungen nimmst du mit zu „Paddington“?

Isabell Mayrhofer: Ich war bei „Edge of Tomorrow“ hauptsächlich für Animation und FX verantwortlich, habe aber auch Rigging, CFX und gegen Ende Stereo Conversion beaufsichtigt. Verglichen mit meinen vorherigen Projekten lag der Hauptunterschied wahrscheinlich in der Größe des Teams. Demnach muss man die Arbeit auf mehrere Leute verteilen, um alles abdecken zu können. Als Coordinator heißt das, sich nur auf ein paar Departments zu beschränken, anstatt auf alle zu achten, was beispielsweise bei „Wolfblood“ der Fall war. Diese klare Abgrenzung der Aufgaben ist wiederum für „Paddington“ sehr hilfreich, da ich mich von Anfang an auf meinen Bereich konzentrieren und somit schneller in die täglich anfallenden Aufgaben einbringen kann.

DP: Es wurden ja auch Shots von Cinesite, SPI, Nvizible, PeanutFX und Prime Focus im Film verwendet. Wie koordinierst du die Abstimmung mit den Artists der anderen Studios und wie reicht man das am besten ans eigene Team weiter?

Isabell Mayrhofer: Die Koordination zwischen all den verschiedenen Studios liegt alleine beim Kunden. Im Falle von „Edge of Tomorrow“ also bei Warner Bros. Wir sind in der Regel ausschließlich für unsere eigenen Shots und Assets verantwortlich. Nur im Falle der direkten Zusammenarbeit mit anderen Studios muss ich darauf achten, dass alles nach Plan läuft. Beispielsweise gibt es gewisse Assets, wie etwa die Aliens, die von einem Studio entworfen und gebaut und anschließend den anderen Studios zur Verfügung gestellt werden. Aber auch für die Stereo Conversion am Ende müssen gewisse technische Voraussetzungen eingehalten werden, um die spätere Konvertierung zu ermöglichen.

DP: Welches waren eure Shots bei „Edge of Tomorrow“ und wo lagen die Herausforderungen?

Isabell Mayrhofer: Also erst einmal eine kleine Spoiler-Warnung an alle, die den Film noch nicht gesehen haben. Unsere Sequenzen ziehen sich eigentlich über die gesamte Dauer des Films. Eine unserer größten Sequenzen in London war die sogenannte „Dropship-Crash“-Szene, bei der Tom Cruise und Emily Blunt eine Art Helikopter entlang der Champs-Élysées fahren (nein, nicht fliegen), ihn durch den Arc de Triomphe jagen und direkt in den Louvre steuern. Das war zugleich eine der umfangreichsten Sequenzen, würde ich sagen. Aber wie bei jedem anderen Projekt auch liegt die Herausforderung eher darin, am Anfang alles erst einmal zum Laufen zu bringen. Ich denke da zum Beispiel an Doug Liman, den Regisseur, der den Wunsch geäußert hat, die Aliens mögen sich bitte so bewegen, wie man es noch nie zuvor bei einem Wesen gesehen hat. So, und wer jetzt einen Hauch Ahnung von Animation hat, wird wissen, dass es am Anfang vor allem darum geht, Vorlagen und Referenzen zu sammeln. Somit waren wir zunächst etwas ahnungslos. Aber mithilfe von Nick Davis, dem VFX-Supervisor, konnten wir mit unserer Animation letztendlich überzeugen.

DP: Wie groß war euer Team und wie sah euer Workflow aus?

Isabell Mayrhofer: Diese Frage ist schwer zu beantworten, da sich die Größe des Teams auf einer fast monatlichen Basis verändert hat, ganz den jeweils aktuellen Anforderungen entsprechend. Grob geschätzt würde ich sagen, hatten wir so um die 100 Artists, die an dem Projekt in London gearbeitet haben. Gleichzeitig hat Framestore Montreal auch daran mitgewirkt, das dortige Team war nochmals eine Spur größer. Der Workflow eines üblichen 3D-Shots beginnt mit dem Einsortieren der Plates (dem Filmmaterial) und damit, alle Shot-spezifischen Daten in die Datenbank einzupflegen (Kamera-Infos, Schnittlänge et cetera). Von dort aus geht es zum Tracking, danach zum Layout und weiter zur Animation. Anschließend kommen die Jungs und Mädels der CFX- und FX-Truppe, die danach wiederum ihre Arbeit an Lighting und Rendering weitergeben. Zum Schluss fügt das Compositing alles zusammen und am Ende schicken wir, also die Produktion, das Ganze zum Kunden. In der Regel finden viele dieser Schritte zeitgleich statt und die Produktion hat ihre Finger von Anfang an im Spiel, um über das Projekt einen guten Überblick zu behalten. Obwohl man das alles in der Regel schon einmal gemacht hat, ist es immer wieder eine Herausforderung, weil jedes Mal neue technische und künstlerische Aufgaben entstehen und die Kunden mit jeder weiteren Zusammenarbeit ihre Ansprüche steigern.

DP: Wie viele Iterationen hattet ihr durchschnittlich und an welchem Shot habt ihr besonders lange gesessen?

Isabell Mayrhofer: Wir haben grundsätzlich viele Iterationen, da alle Departments aufeinander aufbauen und sich demnach die Versionen stetig steigern. Dabei war die bereits beschriebene „Dropship-Crash“- Sequenz eine besondere Herausforderung, damit schlussendlich alles perfekt ineinandergreift.

DP: Wie sehr muss man deiner Erfahrung nach das klassische Projektmanagement mit seinen Strukturen anpassen, damit es bei Filmprojekten funktioniert?

Isabell Mayrhofer: Grundsätzlich würde ich sagen, ist die Struktur bei Filmproduktionen dem klassischen Projektmanagement sehr ähnlich. Man hat ein gewisses Maß an Arbeit, das mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in einer vorgegebenen Zeit umgesetzt werden muss. Selbstverständlich braucht man die spezifischen Fachkenntnisse der Filmproduktion, um das Projekt überhaupt realistisch planen und auf die Beine stellen zu können, aber die Basis an sich ist die gleiche.

DP: Ihr arbeitet mit Shotgun – wie sind deine Erfahrungen damit?

Isabell Mayrhofer: Shotgun ist super, aber manchmal auch herausfordernd. Es hat etwas gedauert, bis ich mich an die Struktur gewöhnt hatte. Aber ich habe schnell gemerkt, welche Vorteile Shotgun mit sich bringt und wie sehr es den Alltag der Produktion erleichtern kann. Das Beste an der Sache: Obwohl Framestore ein hausinternes Shotgun-Support-Team hat, das jederzeit für Fragen und Kommentare zur Verfügung steht, kommen immer noch Entwickler von Shotgun persönlich ins Haus, um auf Wunsch weiteres Training anzubieten, Fragen zu beantworten oder grundsätzlich Tipps bei der alltäglichen Arbeitsweise zu geben. Ich hatte auch eine 1:1-Session mit einem der Shotgun-Mitarbeiter und konnte Verbesserungsvorschläge einbringen und neue Ideen mit ihm besprechen, die er in kommenden Updates einbauen möchte.

DP: Welche Tools sind bei dir sonst noch „immer dabei“ – und gibt es einen Tipp, den deiner Meinung nach jeder kennen sollte?

Isabell Mayrhofer: Wir verwenden eine Reihe von zusätzlichen Tools die von unseren Entwicklern direkt in Shotgun integriert werden. Das sind beispielsweise Delivery Tools, die uns helfen, die fertigen Shots an den Kunden zu schicken. So muss ich nicht ständig zwischen verschiedenen Programmen wechseln, sondern kann alles komfortabel von Shotgun aus steuern. Zusätzlich sind aber auch Programme wie Filemaker Pro und RV (= Media-Player von Tweak Software) Teil unserer täglichen Arbeit. Diese lassen sich aber auch mit Shotgun verbinden. Beispielsweise können Filemaker Files einfach importiert respektive Shotgun-Daten Filemakerspezifisch exportiert werden. Der beste Tipp, den ich geben kann, ist wahrscheinlich folgender: Kauft euch Directory Opus (= Dateimanager). Ich liebe dieses Ding! Es macht das Leben in der Produktion um so vieles einfacher, vor allem wenn man in irgendeiner Form mit Verschieben, Kopieren oder Umbenennen von Dateien zu tun hat. Ich benutze es sogar privat.

DP: Welche persönlichen Eigenschaften sollte man als Coordinator haben?

Isabell Mayrhofer: Du solltest erst einmal ein technisches Verständnis für die Programme haben, die die Artists verwenden. Das sind zum Beispiel Maya, Nuke und andere. Außerdem musst du die Grundprinzipien der Filmproduktion verstehen, etwa den Workflow. Als Coordinator arbeitest du eng mit den Artists und der Produktion zusammen und solltest deshalb eine soziale, aufgeschlossene, aber auch verlässliche Art haben. Ein gewisses Talent für Organisation und Flexibilität gehören auch dazu, um im Alltag überleben zu können. Letztendlich muss man aber Spaß an der Arbeit haben, denn gerade in der Produktion ist man meist der Erste, der ins Büro kommt und der Letzte, der nach Hause geht.

DP: Du hast ja ein Studium am SAE Institute abgeschlossen – wie gut hat dich das auf die jetzigen Aufgaben vorbereitet?

Isabell Mayrhofer: Mein Studium am SAE Institute hat mir vor allem in Bezug auf technisches Verständnis geholfen. Meine Kenntnisse in Maya, Nuke & Co. haben mich schnell vorangebracht. Es ist ein großer Vorteil, wenn man als Produktion weiß, wovon die Artists reden, besonders wenn diese versuchen, sich aus einer eher unangenehmen Situation zu retten. Vor allem als Frau ist es in der männerdominierten Filmwelt nicht immer ganz leicht, sich durchzusetzen. Da kann es schon von Vorteil sein, wenn man beispielsweise einem Animator zeigt, wo er in Maya die Kameraeinstellung verändern kann. True Story. Nicht nur ist es für das jeweilige Projekt an sich hilfreich, wenn man schnell bei etwas aushelfen kann, ohne andere Artists von der Arbeit abzuhalten. Damit habe ich darüber hinaus schon so manche Wette gewonnen. Selbstverständlich muss man das Ganze mit einem gewissen Charme vermitteln, um nicht etwa am Ego anderer – meist älterer – Kollegen zu kratzen. Welcher professionelle Artist möchte schon von einem Production Coordinator in seinem eigenen Programm zurechtgewiesen werden? Manche nehmen es aber mit Humor und finden es super, wenn sie sich technisch ausdrücken können, ohne gleich fragende Blicke zu kassieren. Selbstverständlich geht mein Wissen nur bis zu einer gewissen Grenze, man lernt aber auch jeden Tag wieder etwas Neues hinzu und die meisten Artists sind sogar begeistert, wenn sie einem noch etwas beibringen dürfen.

DP: Welche Kurse hättest du im Nachhinein betrachtet noch gebrauchen können?

Isabell Mayrhofer: Ein Kurs für die Produktion an sich wäre vorteilhaft gewesen. Nicht nur Leute wie ich, die danach tatsächlich in dem Feld tätig werden, könnten davon profitieren. Ich erkläre viel zu oft, was eigentlich die Aufgaben der verschiedenen Personen in der Produktion sind und wo die Unterschiede liegen. Auch fehlt vielen Artists das Verständnis, wieso genau sie gewisse Aufgaben in dem vorgegebenen Zeitraum umsetzen müssen et cetera. Selbstverständlich ist es andersherum ebenso. Soll heißen: Es gibt viel zu viele Producer, die nicht wissen, welcher Aufwand hinter all den Aufgaben steckt. So ein Kurs könnte Themen enthalten wie: Was ist ein Schedule und wie funktioniert der eigentlich? Wie sieht der Tagesablauf in der Produktion aus? Welche Aufgaben hat ein Production Assistant /Coordinator/ Line Producer/Producer et cetera? Ich habe, kurz bevor ich nach London gegangen bin, am SAE Institute in München sogar noch einen solchen Vortrag gehalten und darauf nur positives Feedback bekommen. Sollte sich also wieder einmal so eine Chance ergeben, würde ich es auf jeden Fall wieder tun beziehungsweise weiterempfehlen.

DP: Was hat dir im Studium am meisten gebracht und was würdest du Interessenten empfehlen, die das Maximum aus der Zeit herausholen wollen?

Isabell Mayrhofer: Ganz einfach: Man sollte so viel wie möglich ausprobieren. Am SAE Institute gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten, die bekommt man im späteren Berufsleben einfach nie mehr wieder. Es ist nicht leicht, genau das zu finden, was einem beruflich Spaß macht. Vor allem wenn es, wie in der Branche, so viele verschiedene Berufswege gibt. Wo sonst kann man lernen, wie man ein Drehbuch schreibt, Regie führt, die Kamera hält, das Licht platziert, die Tonangel hält, die Daten richtig verarbeitet, einen Character gestaltet / modelliert / texturiert / riggt / animiert / rendert, Effekte hinzufügt, alles im Comp zusammenbringt, das Bild farblich gestaltet und den Schnitt setzt – um am Ende zu merken, dass die Pointe fehlt?

Ich wünschte, das wäre jetzt ein Scherz, aber leider ist es Teil unseres Alltags und es passiert ab und an, dass komplett fertige Shots, die Monate harter Arbeit verschlungen haben, am Ende einfach nicht im Film landen.

So, wo war ich? Ach ja: Alles einmal gemacht haben – das sollte die Einstellung sein, wenn man sich für ein SAE-Studium entscheidet. Man geht zwar nie gänzlich in die Tiefen der einzelnen Bereiche, aber man bekommt einen guten Einblick in alles und hat somit auch mehr Verständnis für andere Departments, vor allem wenn sie so verbunden sind wie im Film. Denn: Ohne Story kein Dreh, ohne Dreh kein Material für VFX, ohne Rigging keine Animation et cetera. Sobald man sich für etwas entschieden hat, kommt das thematisierte Wissen sowieso von ganz alleine. Und schon nach kurzer Zeit wünscht man sich die Abwechslung des Studiums zurück.

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