ITFS-Entscheidungsträger äußern sich zum Animationsstandort Deutschland

Sind deutsche animierte Langfilme auch dann noch international wettbewerbsfähig, wenn es an erwachsene Themen geht? Ein Plädoyer der Verantwortlichen hinter dem Internationalen Trickfilmfestival Stuttgart.

In nuce: Unter dem Titel „Größeres Engagement und neue Förderinitiativen für den deutschen Animationsfilm für Erwachsene und das künstlerische Talent!“ haben Geschäftsführer des Film- und Medienfestivals sowie Geschäftsführende und Vorstandsvorsitzende der AG Animationsfilm eine Pressemeldung herausgegeben, welche sich – in Form eines Kommentars – kritisch mit dem Stellenwert des Animationsfilms in Deutschland auseinandersetzt, sich respektive für eine Förderung animierter Kurzfilme ins Geschirr werfen. Bei den vier Unterzeichnenden handelt es sich um Prof. Ulrich Wegenast (Künstlerischer Geschäftsführer Film- und Medienfestival), Dieter Krauß (Kaufmännischer Geschäftsführer Internationales Trickfilmfestival Stuttgart), Annegret Richter (Geschäftsführung Geschäftsführer Internationales Trickfilmfestival Stuttgart) und Fabian Driehorst (Vorstandsvorsitzender AG Animationsfilm e. V.). Nachstehend der Text in voller Länge. Für eine bessere Lesbarkeit haben wir den Text um Zwischentitel ergänzt.

Es folgt die ungekürzte Pressemeldung.

Warum also gibt es keine Langfilme im Erwachsenenbereich aus Deutschland? Die Art und Weise, wie die Kategorie Bester Animationsfilm bei den Academy Awards in diesem Jahr angekündigt, wurde, hat gezeigt, dass Animation für Erwachsene noch immer nicht ernst genommen wird. Und das obwohl bei den Oscars 2022 mit „Flee“ ein Film nominiert war, der explizit ein erwachsenes Publikum adressiert! Zwar stimmt es, dass die meisten Animationsfilme im Bereich Kinderfilm und Family Entertainment entstehen und dabei sehr erfolgreich sind. Auch deutsche Animationsfilme erzielen hier regelmäßig Box-Office Erfolge im Ausland, sowohl bei der Kinoauswertung als auch auf den VOD Plattformen. Doch Animation kann so viel mehr. Sie ermöglicht eine innovative, künstlerische und kreative Gestaltung, andere Perspektiven und Darstellungsformen, die im Realfilm nicht umsetzbar sind. Wir sind der Auffassung: Deutschland hat das Potential für spannende Geschichten im Erwachsenenbereich. Das zeigen die internationalen Erfolge der deutschen Kurzfilme, die in der Regel keine Kinderfilme sind. AG Animationsfilm und ITFS fragen sich: Warum also gibt es keine Langfilme im Erwachsenenbereich aus Deutschland?

Animationsfilme mit erwachsenen Themen – auch aus Deutschland? Im Ausland feiert der Animationsfilm für Erwachsene seit Jahren große Erfolge bei Publikum und Kritik. Filme wie „Waltz with Bashir“ „Persepolis“, „Isle of Dogs“, „The Breadwinner“ oder der jüngst für drei Oscars nominierte „Flee“ zeigen, dass sich die Animation auch ernsteren Themen zuwenden und komplexe Geschichten für ein erwachsenes Publikum erzählen kann. Vor allem die Mischform animierter Dokumentarfilm gewinnt immer mehr Publikum, erlaubt es doch, gesellschaftlich relevante und politische Stoffe z. B. über Krieg, Verfolgung, Flucht oder Homosexualität in homophobem Umfeld abstrahiert, anonymisiert und dennoch mitreißend darzustellen. Deutsche Produktionsfirmen spielen bei diesen Produktionen – wenn überhaupt – leider nur eine Nebenrolle! Dies liegt jedoch nicht am Desinteresse oder an den fehlenden Stoffen deutscher Produktionsfirmen, wie die jährlichen Einreichungen beim deutschen Animationsdrehbuchpreis des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS) und bei den Animation Production Days zeigen.

Filmförderung für den Animationsstandort Deutschland? Notwendig wäre eine wesentlich höhere Bereitschaft bei Fernsehsendern und Filmförderungen, Animationsstoffe für ein erwachsenes Publikum zu unterstützen. Animation z. B. nicht ausschließlich im Kinderbereich anzusiedeln, sondern im Unterhaltungsbereich der öffentlich-rechtlichen Sender zu sehen, würde andere Budgets, Themen und Möglichkeiten eröffnen. Und auch die deutschen Verleiher müssten mehr Mut für anspruchsvolle animierte Filme zeigen. Diese Änderungen würden auch die Produktionslandschaft für Animation in Deutschland nachhaltig bereichern, da das meist auf Kinderserien und -Kinofilme beschränkte Portfolio vieler Produktionsfirmen durch andere Themen deutlich diversifiziert werden würde. Diese Form der Diversifizierung wäre nicht nur eine ökonomische, sondern natürlich auch eine inhaltliche und kulturelle, wie die Themenvielfalt der oben genannten Filme verdeutlicht. Eine stärkere Unterstützung von Animationsfilmen für Erwachsene würde die wichtige gesellschaftliche Relevanz von Animation stärken und wäre damit auch ein stabilisierender Faktor der Demokratie, da Animationsfilme, anders als Dokumentarfilme, oft durch ihre einzigartige Erzählweise, Ästhetik und Bildsprache ein neues Publikum erreichen und oftmals über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden können. Dass Animation für Erwachsene auch in Serien kein Nischenprodukt sein muss, zeigen Serien wie die Amazon-Produktion „Undone“ des Niederländers Hisko Hülsing – ein Animationskünstler, der mit seinen Kurzfilmen Dauergast beim ITFS ist. Die zweite Staffel von „Undone“ wurde am 29. April 2022 in 240 Ländern und Territorien auf Amazon Prime veröffentlicht.

Pflegt der deutsche Animationsfilm (für Erwachsene ein Nischendasein)? Insgesamt ist auffällig, dass nicht nur auf den großen Plattformen wie Amazon Video oder Netflix, z. B. mit dem Stop Motion-Projekt „The House“, das auf dem diesjährigen ITFS vorgestellt wird, der europäische, aber eben nicht der deutsche Animationsfilm für Erwachsene sehr erfolgreich ist! So werden beim diesjährigen ITFS im Langfilmwettbewerb nicht nur die oben genannte dänische Produktion „Flee“ gezeigt, sondern auch die tschechisch-slowakisch-französische Produktion „My Sunny Maad“. Auch der Film „Die Odyssee“ ist beim diesjährigen ITFS zu sehen. Hier besteht zwar eine deutsche Produktionsbeteiligung; inhaltlich und ästhetisch trägt die wundervoll malerisch gestaltete Geschichte über Flucht und Vertreibung jedoch die klare Handschrift der französischen Regisseurin und Animatorin Florence Miaihle.

Der Europäische Filmpreis – Ein Resümee: Die starke Präsenz erwachsener Stoffe und Themen beim europäischen Animationsfilm schlägt sich auch beim seit 2009 vergebenen Europäischen Filmpreis nieder:  von den bislang 13 vergebenen Preisen gingen zehn Preise an Animationsfilme für Erwachsene – darunter „L’Illusioniste“, „Chico & Rita“, „Alois Nebel“, „The Congress“, „Loving Vincent“ oder jüngst „Josep“ (2020) und „Flee“ (2021). Darunter war keine explizit deutsche Animationsproduktion, sondern lediglich im Falle von „Alois Nebel“ Produktionen mit kleinem Ko-Produktionsanteil aus Deutschland! Wie kann das sein?!

Fördertools, Initiativen & Nachwuchsförderung – reicht es aus? Es wäre zu einfach, diese desaströse Bilanz lediglich auf die deutschen Fernsehsender und Filmförderer zu schieben. Es müssen Änderungen an der Gesamtstruktur der deutschen Animationsproduktionslandschaft vorgenommen sowie neue Fördertools und Initiativen entwickelt werden. Das fängt unbedingt bei der Nachwuchsförderung an! Die AG Animationsfilm fordert z. B. seit Jahren die Schaffung von Nachwuchsformaten im deutschen Fernsehen mit angepassten Bedingungen für den Animationsfilm in Budget und Länge. Dazu gehört auch z. B. die Etablierung mittelanger Formate, Specials oder Miniserien. Doch dafür müssen Förderung und Sender neue Wege gehen. Zwar unterstützen Festivals wie das ITFS mit dem Lotte Reiniger Förderpreis – dotiert mit 10.000 Euro – den Animationsnachwuchs, aber das reicht bei weitem nicht aus. Auch Initiativen wie Ani:Dox aus Dänemark, die unter anderem an der Stoffentwicklung von „Flee“ beteiligt waren, zeigen, dass Förderung des Nachwuchses durch Preisgelder und Programme durchaus erfolgreich sein können.

Deutsche Kurzfilmförderung – ein Zukunftsmodell: Dies zeigt noch einmal deutlich, dass die Förderung von Animationsfilmen für Erwachsene mit der Unterstützung des Kurzfilms beginnt. So sind 90% der animierten Kurzfilme, die an den deutschen Filmhochschulen entstehen, für ein erwachsenes Publikum ausgerichtet. Dieses Verhältnis kehrt sich aber nach dem Ende des Studiums komplett um, da es – im Gegensatz zu Frankreich und anderen europäischen Ländern – schlichtweg keine umfassenden Förderangebote für (animierte) Kurzfilme gibt. Eine derartige Kurzfilmförderung wäre kostengünstig und nachhaltig! Wenn jede deutsche regionale Filmförderung einen Betrag von einer Million Euro pro Jahr für zirka zehn Kurzfilme bereitstellen würde, könnte die Animationslandschaft in Deutschland, was den Trickfilm für Erwachsene anbelangt, in kurzer Zeit aufblühen und dauerhaft wachsen. Auch eine erhebliche Erhöhung der Kurzfilmförderung des Bundes, die derzeit mit maximal 30.000 Euro pro Film fördert, hätte einen Effekt für die deutsche Animationslandschaft.

Artists in Residence – Förderung für Künstler:innen: Neben einer schnellen und einfachen Kurzfilmförderung im Bereich Animation wären auch „Animators in Residence“-Angebote, wie wir sie aus der bildenden Kunst kennen, besonders hilfreich. Solche Angebote existieren unter anderem in Frankreich bei der Produktionsfirma Folimage oder beim Animation Workshop Viborg in Dänemark und sind überaus erfolgreich! Derartige Programme wären auch eine sehr große Chance, Kunststiftungen und Filmförderungen, die meist komplett getrennt agieren, stärker miteinander zu vernetzen und neue Synergien zu schöpfen.

Ein Ausblick: Alleine diese Beispiele zeigen, dass es bereits mit wenigen Veränderungen möglich wäre, eine international relevante Animationsszene aufzubauen, die nachhaltig wächst. Das Talent und die Stoffe für einen neuen Animationsaufbruch sind vorhanden, wie das Programm des diesjährigen ITFS eindrucksvoll belegt.

Weitergeklickt: Zuletzt berichteten wir über das Internationale Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS) am 08.04.2022, als nämlich mit Film- und Workshop-Angeboten für die Kleinen (und ihre erwachsenen Anhängsel) geworben wurde – inklusive Filmpremieren, Freiluftkino und weiteren Angeboten auf dem „Tricks for Kids“.

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