Feingefühl für heikle Thematik | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 03 : 2016 stellten wir uns der Sterblichkeit. Die Organisation „Junge Helden“ setzt sich für reflektierte Entscheidung in puncto Organspende ein. Ein dazugehöriger Kurzfilm aus Berlin begeisterte die animago-Juroren mittels aufklappbaren 3D-Environments. Alles organisch, oder?

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der DP 03 : 2016. Am 16.06. dieses Jahres stellten wir euch den dazugehörigen Kurzfilm im Rahmen unserer Reihe Animago Afternoon vor.

Alle Menschen eint die Sterblichkeit. Diese wird gerne verdrängt, auch über die Weiterverwendung der eigenen Organe nach dem Tod denkt man höchst ungern nach. Die Organisation „Junge Helden“ setzt sich für eine individuelle und reflektierte Entscheidung zum Thema Organspende ein. Für diesen Zweck realisierte Uhsless aus Berlin einen fünfminütigen 3D-Animationsfilm, in dem der langwierige und komplizierte Ablauf einer Organspende erklärt wird.

Das Projekt „Junge Helden: Ablauf einer Organspende“ wurde 2015 in der Kategorie „Beste Visualisierung“ für einen animago AWARD nominiert. In dieser Kategorie zählt Uhsless-Gründer Uli Streckenbach (www.uhsless.de) zu den Stammgästen auf der Preisträger- und Nominiertenliste, denn so gut wie jedes Jahr kann er die Jury mit seinen Filmen zu wichtigen Themen überzeugen: Streckenbachs Abschlussfilm „Ending Overfishing“ an der Kunsthochschule Halle wurde 2012 mit einer animago-Trophäe ausgezeichnet ebenso „Let’s talk about soil“ ein Jahr später. „Peseta“ erhielt 2014 eine Nominierung.

Die animago-Jury beeindruckte bei dem aktuellen Projekt vor allem die endlose Transition-Erzählweise durch das Auf- und Wegklappen der 3D-Environments sowie der Mut, sich eines komplexen Themas wie der Organspende anzunehmen: vom Auftreten der ersten Symptome, der Diagnose, dem bangen Warten auf ein passendes Organ bis zur gelungenen Transplantation.

Dabei zeigt der Film auch, wie schwer es ist, ein Organ zu bekommen und wie statistisch unwahrscheinlich, überhaupt erst als Spender infrage zu kommen. An dem Werk wirkten viele prominente Persönlichkeiten mit: Das Voice-Over des Animationsfilms spricht Moderator Joko Winterscheidt, darüber hinaus waren unter anderem noch Schauspieler Jürgen Vogel oder Politiker Frank-Walter Steinmeier in das Projekt involviert.

Teamgröße & Projektdauer

Das Kernteam für den 3D-Animationsfilm bestand aus Uli Streckenbach, Robert Pohle (www.schnellebuntebilder.de) und Ronny Schmidt (www.rosch.xyz). Für spezielle Aufgaben wie beispielsweise das WolkenShading oder das Compositing einzelner Szenen holte sich das Team die Unterstützung einzelner Artists. Der Sound wurde von Jochen Mader von Audionerve (www.audionerve.de) gestaltet, die Musik hat das Berliner Studio Kling Klang Klong (www.klingklangklong.com) komponiert. Die Produktionszeit verteilte sich auf etwa sechs Monate, wobei zwischendurch an anderen Projekten gearbeitet werden oder man auf inhaltliches Feedback warten musste.

Storyboard & Concepts

Ein erster Skriptentwurf lag von Drehbuchautor Arend Remmers von Lopta Film vor. Diesen überarbeitete das Team zusammen und nutzte ihn als Grundlage für ein Storyboard. Bei der Arbeit an diesem ergab sich auch das Design-Konzept und das zentrale Gestaltungselement für den Film – der Raum, der sich für die verschiedenen Handlungsphasen aufklappt. Gleichzeitig wurde an ersten Styleframes gearbeitet, um dem Kunden ein Gefühl für den Look des Films zu vermitteln. Dabei modellierte das Team die 3D-Assets in Cinema 4D und nutzte für die Beleuchtung und Texturierung die Render Engine Octane. „Mit Octanes Live Viewer gestalteten sich die Ausleuchtung sowie das Testen verschiedener Kameraeinstellungen viel intuitiver, da man ein direktes Feedback vom zu erwartenden Endprodukt erhielt“, erinnert sich Uli Streckenbach. Aber da es das erste Mal war, dass das Team für ein großes Projekt Octane einsetzte, kam es im 3D-Prozess auch zu ein paar Problemen (im Folgenden dazu mehr). Als Referenzen für die Assets dienten MedizintechnikherstellerWebseiten, Krankenhausserien und Karussell-Fahrzeuge.

3D-Produktion

Nachdem das Storyboard und die Styleframes abgenommen waren, ging es in die eigentliche Produktion. Das Team erstellte ein 3D-Animatic und modellierte die Assets und Charaktere; auch hier war Cinema 4D das Programm der Wahl. Das Rigging und die Animation realisierten die 3D-Artists ebenfalls mit dem Maxon-Tool, für das Weighting der 3D-Charaktere nutzte das Team den OnlineService von Mixamo, von dem sich Streckenbach begeistert zeigt: „Mixamo leistete einen ganz ausgezeichneten Job. Einfach den Charakter als .fbx-Datei auf die Webseite hochladen und Gelenkpunkte setzen – der Rest ist Magie. Nach kurzer Zeit sieht man den Charakter im Browserfenster laufen, springen oder den Gangnam-Style tanzen.“ Schwieriger beziehungsweise fummeliger war es dagegen, das gelungene Weighting in das Character Object von Cinema 4D zu bekommen. „Dazu hat Robert das Weighting für jeden in Mixamo geweighteten Bone auf die ungeweighteten Bones des Cinema-Charakters übertragen – vor allem die Hände waren eine Fingerübung. Ein Dank geht an dieser Stelle auch an David Weidemann, der uns diesen Workflow nähergebracht hat. Für Maya und 3ds Max gibt es sicherlich direktere Wege, den geriggten Charakter aus Mixamo in die Character Tools wie Biped zu übertragen“, so Streckenbach. Für ein effizientes Ebenenmanagement kam das Plug-in CV Layer Comps (www.cineversity.com) für Cinema 4D in die Pipeline.

Die Render Engine Octane setzte das Team zum ersten Mal für einen fünf Minuten langen Animationsfilm ein, was aufgrund des ungewohnten Workflows natürlich zu einigen Problemen führte: Bis animierte Texturen auch wirklich als animierte Texturen von Octane erkannt wurden, verging schon mal die eine oder andere Häkchenkombination. Streckenbach dazu: „Am besten benennt man die Bildsequenz so einfach wie möglich, beispielsweise „001.png“, „002.png“, „003.png“ et cetera. Manchmal wurden auch einzelne Objekte nicht mitgerendert – vor allem der Bart des Arztes bereitete hierbei ganz besondere Probleme. Dies war meistens eine Frage der korrekten Vergabe von Octane Object Tags.“

After Effects wurde für das Compositing und den Schnitt – wenn man ihn bei diesem Film so nennen darf – sowie für Animationen der ScreendesignElemente (wie EKG, EEG, Zentrifuge) eingesetzt. Photoshop half bei kleineren Farbkorrekturen. Jeder der drei Artists besaß verschiedene Stärken für das Projekt, auf diese Weise ergänzte sich das Team gut. „Ronny brachte sich zwischendurch noch den Marvelous Designer (www.marvelousdesigner.com) bei, um dem Rekonvaleszenten eine Decke zu nähen – die zum Dank dann auf den Boden geworfen wird“, lacht Streckenbach.

Challenges

Eine große Herausforderung des Projektes war natürlich das sensible Thema der Organspende und die sachliche Auseinandersetzung damit: Wie zeigt man das Thema Tod und die damit verbundene Trauer der Angehörigen, ohne zu plakativ zu werden oder den Film zu beschwerlich zu machen?

Des Weiteren waren die Erklärung der notwendigen Voraussetzungen für eine Spende sowie deren Ablauf inklusive der gesetzlich geregelten Prüfmechanismen ein heikler Punkt – gerade im Hinblick auf die verschiedenen Organspendeskandale in Deutschland. Dadurch war die gemeinsame Erarbeitung des Skripts mit der Produktionsfirma Lopta Film und dem Kunden „Junge Helden” ein langwieriger Prozess. Immer wieder musste das Skript bis ins Detail mit dem beratenden Transplantationsarzt Dr. Warnecke abgestimmt werden. Auch die Beteiligung zahlreicher bekannter Persönlichkeiten an dem halbstündigen Aufklärungsfilm wirkte sich natürlich stark auf die Zeitplanung aus. Das größte Problem war jedoch, wie bei den meisten Projekten, die Zeit. Aber, so das Team: „Die haben wir uns einfach genommen.“

Weitere Pläne mit dem Film

Die „Jungen Helden“ setzen das Video intensiv für die Aufklärungsarbeit zum Thema Organspende ein – insbesondere bei Vorträgen an Schulen. Als nächster Schritt steht für Uhsless die Produktion der englischen Version auf dem Plan, damit der Clip auch endlich einem internationalen Publikum präsentiert werden kann. Zwar gibt es große gesetzliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, jedoch ist die generelle Aufklärung zu diesem Thema unabhängig von den spezifischen Abläufen in den jeweiligen Ländern trotzdem wichtig. „Und wenn wir mit dem Film nur erreichen, dass mehr Leute mit Helm Fahrrad fahren, sind wir schon zufrieden“, verrät das Team.

Von links nach rechts: Robert Pohle, Ronny Schmidt und Uli Streckenbach.

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