So viel Viehzeugs! | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 03 : 2017 griff Warner Brothers nach "Phantastische Tierwesen & wo sie zu finden sind", denn bei J.K. Rowling war nach Band sieben Schluss mit Harry Potter. Ab ging's zu den Tierwesen (wo auch immer die zu finden sind)!

Dieser Artikel von Mirja Fürst erschien ursprünglich in der DP 03 : 2017.

Harry Potters Schuljahre in Buch- und Filmform waren unfassbar erfolgreich. Da Autorin J.K. Rowling nach Band 7 Schluss mit den Abenteuern des Zauberlehrlings machte, blieben die zuverlässig lukrativen Kinokassen-Ergebnisse mit dem Franchise aus. So wurde nach einem neuen Zipfel gegriffen, und das fiktive Lexikon der Fabeltiere kurzerhand zur Story-Grundlage für eine neue Filmreihe.

Bereits 2001 hatte Rowling die zwei kleinen Bände „Fantastic Beasts and Where to Find Them” und “Quidditch Throughthe Ages” unter einem Pseudonym veröffentlicht; das Tierlexikon verfasste sie unter dem Autorennamen Newt Scamander. Beide Bü- cher fungieren in den Harry-Potter-Romanen als Standardlektüre in der Hogwarts-Schule. Die Entstehungsgeschichte des Lexikons rund um Newt Scamanders Person und seine magischen Wesen, die 70 Jahre vor Harrys Lebenszeit angesiedelt ist, verfasste Rowling in Drehbuchform. Kinostart des ersten “Fantastic Beasts”-Teil war in Deutschland der 16. November 2016, auf DVD- und Bluray erschien der Film April 2017.

Für das Spin-off mussten vor allem zahlreiche Full-CG-Creatures kreiert werden, die optisch von der Norm abweichen. Double Negative, Framestore, Rodeo FX, Milk VFX, Image Engine und Cinesite waren die VFX-Studios bei dem Projekt.

Creatures bei MPC

Über 220 VFX-Shots realisier te MPC für den Film, VFXSupervisor für das Team war Ferran Domenech („Legend of Tarzan“, „Godzilla“). Im Erstellen magischer Effekte ist MPC bereits routiniert, da das Studio bei allen vorherigen 8 Harry-Potter-Filmen zur VFX-Crew gehörte. Für die „Fantastic Beasts“ kreierte MPC die Titles inklusive des Warner-Bros.-Logos, diverse Crowd- und Environment-Extensions sowie die Manhattan-Umgebung, als Newt mit der Fähre in NY ankommt. Die komplexeste Aufgabe war jedoch, die drei Creatures Demiguise, Billiwig und Occamy – inklusive aller Destructions, die seine enorme Wachstumsfähigkeit mit sich bringt – zum Leben zu erwecken.

Gedreht wurde hauptsächlich in den Leavesden Studios im Nordwesten Londons, wo auch schon die anderen Teile der Harry-Potter-Saga entstanden. Einige weitere Original-Plates wie die im Einkaufzentrum, in dem sich Demiguise und Occamy verstecken, wurden in Birmingham gefilmt.

Affe mit Silberlocken

Demiguise – ein kleines affenähnliches Wesen, das sich unsichtbar machen und die Zukunft lesen kann – war die erste Creature, an der MPC für das Projekt arbeitete. Für seine lange silberfarbene Haarpracht nutzte das Team die eigens entwickelte FurtilityGroom-Technologie kombiniert mit simulierten Cloth-Geometrie-Strängen. Diese erlaubten eine natürliche Haar-Bewegung sowie eine Interaktion mit den CreatureGliedmaßen und dem Environment. Für den Effekt des Unsichtbarwerdens von Demiguise entwickelte das Team für Furtility ein neues Textur-Projektionstool, mit dem sich die Background-Bilder über das Fell painten und realistisch bewegen ließen. Demiguises Gesichts- und Körperbewegungen wurden mit Keyframes animiert.

Gefiederte Riesenschlange

Die komplizierteste Creature war jedoch die gefiederte Schlange Occamy, die Flügel und ein drachenähnliches Gesicht besitzt. Occamy ist immer so groß, wie der Raum, der es umgibt – in dem Fall des saalartigen Kaufhauses sollte sich das magische Wesen um die Dachbalken herumwickeln und dabei unglaublich lang aussehen. Dafür kreierte das Asset-Team fünf verschiedene Variationen des Körpers. Damit der Raum komplett ausgefüllt und die sorgfältig gestaltete Komposition in jedem Shot angepasst werden konnte, wurde der enorme Körper au- ßerdem in verschiedene Teile unterteilt.

Für die Realisation von Occamy verfeinerte das Team die SnakeRigging-Technologie, die zuvor für die Harry-Potter-Filme entwickelt wurde, wobei ein Schlangenkörper bedeckt mit Federn eine zusätzliche Herausforderung bot, die aber mit MPCs Furtility-Tool gemeistert werden konnte. Die komplexe Transformationsleistung der Kreatur im Größenverhältnis von einem Haus bis hin zu einer Maus konnte über eine Anpassung des FurtilityTools erzielt werden, sodass Occamy sich interaktiv skalieren ließ.

In der Sequenz erschreckt Newt Occamy, woraufhin es sich in der Dachstruktur des Kaufhauses verfängt und das Gebäude zerstört, als es sich zu befreien versucht. Für diese Szene baute MPC eine detaillierte Set Extension des Dachbodens inklusive Balken, Schrauben und Nägeln, Holzverkleidungen und einer Außenschicht aus Schindeln. Die Zerstörungseffekte des CG-Sets setzte das Team mit der studiointernen DestructionTechnologie Kali um.

Abendessen bei Cinesite

Cinesite realisierte rund 100 VFX-Shots für „Fantastic Beasts“ – unter anderem die Szene, in der Newt mithilfe seines Koffers in die magische Welt gelangt, diverse NewYork-CG-Environments sowie die komplette Abendessen-Sequenz im GoldsteinAppartment. Startschuss in das Projekt war Anfang 2016, danach arbeitete ein kleines aber festes Team kontinuierlich bis Ende September 2016 an der Fertigstellung der Shots. Cinesite war wie MPC auch schon bei allen vorherigen Harry-Potter-Filmen als VFX-Dienstleister an Bord; für die Reihe bearbeitete das Studio insgesamt bereits 2.000 Shots.

Cinesite-Supervisor bei dem Projekt war Andrew (aka Andy) Morley, der seit Anfang 2000 in der digitalen Filmbranche tätig ist. Bei „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ war er als Technical Supervisor beteiligt. Zu seinen weiteren Projekten zählen „Batman Begins“, „Transformers“, „Avatar“ und „Gods of Egypt“.

DP: Die Postproduktion für die ersten „Harry Potter“-Teile liegt mehr als 15 Jahre zurück. Wie hat sich zwischenzeitlich für dich die Arbeit an der Filmreihe verändert?

Andy Morley: Die Technologie und die ArtistSkill-Basis, auf die wir für die fantastischen Biester zurückgreifen konnten, sind – verglichen mit den früheren Potter-Tagen – sehr viel ausgereifter und zuverlässiger. Heute lässt sich damit jeder erdenkliche Effekt liefern, die Herausforderung liegt deshalb zunehmend auf der Erschaffung einer visuell überzeugenden VFX-Arbeit, die das Publikum auf der ganzen Welt so zuvor noch nie gesehen hat. Das in Großbritannien vorhandene Know-how und Skillset garantieren, dass die Filme über das gesamte Franchise hinweg großartig aussehen werden.

DP: Wie habt ihr die Szenen realisiert, in denen Newt durch den Koffer in die magische Welt verschwindet?

Andy Morley: Eine der Schlüsselsequenzen den Koffer betreffend fand innerhalb des Goldstein-Apartments statt. In dieser zögert Jacob, Newt in den Koffer hinterherzuspringen. Auch, weil es für ihn aufgrund seines Körperumfangs wesentlich schwieriger ist als für den schlanken Newt. Wie zu erwarten war, bleibt er stecken und versucht daraufhin, durch Auf- und Ab-Bewegungen herauszurutschen. Die Original-Plate hierfür wurde mithilfe eines echten Koffers gedreht, bei dem Dan Foglers Beine in den Boden ragten. Da der Requisiten-Koffer am Set eine etwas andere Größe hatte als der, durch den Newt springt, musste er in dieser Szene durch einen Full-CG-Koffer ersetzt werden.

Ein Großteil unserer Arbeit umfasste das Entfernen von Dans Beinen via Painting und Cleaning sowie den Neubau des Fußbodens, wenn der Koffer darauf in die Luft hüpft. Zusätzliches Cleaning war erforderlich, um die Arme von Jacob so zu biegen und zu manipulieren, dass sie überzeugend die verkleinerten Kanten des CG-Koffers verschlossen. Um den realistischen Eindruck zu verstärken, fügten wir der Umgebung interaktive Schatten hinzu. Für das finale Ergebnis war viel Hin und Her zwischen dem Color-Grading-, Compositing- und Animation-Department nötig. Die Animationen wurden letztendlich von den Bewegungen des Schauspielers am Set bestimmt, während die Compositing-Artists den CG-Koffer in den Shots platzierten. Indem wir dem Koffer dynamischere Bewegungen gaben, verliehen wir ihm den Eindruck eines eigenen Willens. Da es relativ wenige Koffer-Shots waren, ließen sich über Warping- und Deforming-Effekte im Compositing, unterstützt von einigen 2D-Anpassungen, die finalen Ergebnisse erzielen. Einige subtile Staubeffekte bei jedem Sprung auf dem Fußboden gaben dem Gewicht und dem Aufprall des Koffers ein überzeugendes Gefühl.

DP: Wie entstand das NY-Environment?

Andy Morley: Eine Schlüssel-Sequenz unserer Arbeit diesbezüglich war der Ausblick aus dem Fenster des Goldstein-Apartments über New York City. Dafür erstellten wir Set Extensions, die aus einem Mix von gerenderten 3D-Gebäuden sowie projizierten 3D-Gebäudedetails und Matte-Paintings bestanden. Den Background erstellten wir mithilfe von Referenzen (Texturfotos, Lidar-Scans und Gebäudefotografien) vom New York der 20er- und 30er-Jahre. Eine weitere CG-Umgebung dieser Art wurde für eine spätere Situation im Film geschaffen, in der Newt und Tina am Rand eines New Yorker Gebäudedachs stehen. Die realistische dunkle Nachtbeleuchtung für diese Sequenz, in der die stattfindende Handlung nach wie vor lesbar ist, musste in Feinarbeit ausgeglichen werden. Da die Szene komplett im Greenscreen gefilmt worden war, bedurfte es vieler Arbeitsstunden, bis sich die nächtliche Full-CG-Stadtszenerie hinter den Darstellern glaubwürdig ausbreitete.

DP: Ihr wart für die gesamte AbendessenSequenz im Goldstein-Apartment verantwortlich. Wie habt ihr die sich selbst trocknende Kleidung realisiert?

Andy Morley: In dieser Sequenz wird zu Beginn der verletzte Jacob in die GoldsteinWohnung gebracht. Dort erschrickt er über Anziehsachen auf einem Trockenständer, die sich automatisch drehen. Ursprünglich wurde dies als Live-Action-Szene mit echter Kleidung an Drähten gedreht. Später beschloss die Produktion jedoch, dass die Szenen dadurch nicht flüssig genug wirken und sie gegen CG-Objekte ausgetauscht werden sollen. Dabei wurde auch das Design des Wäscheständers in vertikale Stangen verändert. In acht Shots wurden die Kleidungsstücke mit einem Mix aus Animation und Cloth Simulation mit Maya und nCloth umgesetzt.

DP: Und Queenies Magic-Dress, das sich von selbst um sie wickelt?

Andy Morley: Das Full-CG-Kleid musste nahtlos in die Umgebungs-Shots integriert werden, während die Schauspielerin in einigen Shots die reale Version des Kleids trägt. Eine glaubwürdige Umsetzung war kompliziert, weil Cloth-Software für gewöhnlich dazu verwendet wird, das Verhalten eines Stoffmaterials aus der Realität zu replizieren. Diese Welt ist allerdings eine magische, deshalb musste sich Queenies Kleid unkonventionell verhalten. Darstellerin Alison Sudol spielte die Szene mit dem Full-CGKleid in Unterwäsche – das digitale Dress wurde mit einem komplexen Maya-Rig animiert, welches Anpassungen des Kleids an die entsprechende Bewegung erlaubte sowie realistische Deformationen in der Cloth Simulation. Formprobleme ließen sich über umfangreiches Geometrie-Sculpting lösen. Da das echte Stoffmaterial des Kleides auf die reale Beleuchtung nicht sonderlich gut reagierte, wurde es für den finalen Look mit einem interessanteren Finishing noch in Nuke optimiert.

DP: Danach wird zu Abend gegessen – dafür fliegen alle Zutaten durch die Luft, bereiten sich selbst zu und landen gedeckt auf dem Tisch. Wie seid ihr für diese Sequenz vorgegangen?

Andy Morley: Für die zahlreichen fliegenden CG-Objekte wie Schüsseln, Teller, Äpfel, Servietten, Besteck und Glasgefäße wurde eine exakte Choreographie festgelegt. Auch auf dem gedeckten Tisch sind alle Objekte Full-CG. In einem Shot sieht man einen Krug mit trüber Limonade, dessen Inhalt nicht mit einer Fluid Simulation, sondern mit einen Deforming-Effekt der Oberfläche animiert wurde. Selbst die Kerzen sind CG, wir haben sie mit einem manipulierten FlammenElement komplementiert. Die real gedrehte Beleuchtung haben wir ebenfalls etwas verändert. Insbesondere die auf Jacob, um die Härte der Anfangsbeleuchtung auf seinem Gesicht zu reduzieren – dadurch entstand ein interaktiver Lichteffekt. Der Höhepunkt des Abendessens ist der Apfelstrudel: Alle Zutaten schwirren vor Jacobs Gesicht herum, die Frucht wickelt sich in Teigschichten, bevor alles knackig-braun gebacken wird und der Kuchen bereit zum Verzehr auf die Tischmitte sinkt. Diesen Shot haben wir mit angepasster FX realisiert, für stärkere Verformungen setzten wir Houdini ein. Die Animation entstand mit Maya, geshadet wurde mit Arnold. Da wir dem Strudel einen fotorealistischen Look geben wollten, schrieb das Team für ihn neue Shader und entwickelte verschiedene renderbezogene Abläufe für die Animation der in der Luft backenden Oberfläche. Alle RenderSettings drehten wir dafür auf 11.

DP: Wie lief das Compositing mit den zahlreichen CG-Elementen?

Andy Morley: Wir realisierten es mit Nuke 9.0v5. Jeder Shot in dieser Sequenz benötigte individuelle 3DModelle und Shader sowie komplex animierte Texturen und Displacements. Zusätzliche BlendShapes sorgten dafür, dass die Form des Gebäcks während dem Backvorgang insgesamt etwas schrumpfen konnte; Heat-Distortion-Effekte kamen in Nuke hinzu. Die unterschiedlichen Objekte – teilweise mit transparenten Oberflächen mit Brechungseffekt – sowie die Beleuchtungssituation am Set mit vielen verschiedenen Lichtquellen, die in der 3D-Szene nachgebaut werden mussten, machten die Arbeit an der Sequenz extrem komplex.

DP: Wie lief die Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Studios?

Andy Morley: Einige Shots der Sequenz, in der sich Newt und Tina auf dem Dach eines New Yorker Gebäudes unterhalten, teilten wir uns mit Framestore. Supervisor bei dieser komplett vor Greenscreen gefilmten Szenerie war Tim Burke, für uns waren es die letzten Shots für das Projekt in der Pipeline. Framestore setzte Newts Full-CG-Haustier Bowtruckle, genannt Pickett, auf seine Schulter, wir wiederum übergaben das 3D-Layout und Lighting-Setup für etwa die Hälfte der Aufnahmen an Framestore. Bei der Bearbeitung waren das Lighting, der Look und das Grading entscheidend. Wir kompensierten die Beleuchtung in der Original-Plate; die Basis für die CG-Stadt war eine einzelne 3D-Szene, die später auch als digitales Matte Painting benutzt und von den Compositors für verschiedene Kamerawinkel angepasst wurde. Double Negative lieferte uns Gebäude-Assets, die wir für die jeweiligen Shots weiterentwickelt haben.

DP: Werdet ihr beim nächsten „Fantastic Beast“-Teil wieder zum VFX-Team gehören?

Andy Morley: Das hoffe ich sehr, vor allem, weil Cinesite ja bislang an allen Filmen, die auf J.K. Rowlings Büchern basieren, beteiligt war. Wir pflegen ein gutes Verhältnis zu den Kreativen, die in die Realisation des Franchises involviert sind. Wir würden sehr gerne dabei helfen, weitere magische Effekte auf die große Leinwand zu bringen.

Links

„Fantastic Beasts“-Trailer
youtu.be/Vso5o11LuGU

MPC Webseite
www.moving-picture.com

Cinesite Webseite
www.cinesite.com

Behind the Scenes „Fantastic Beasts“
youtu.be/v00xz7oB3MY

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