Die Macht der Crowd | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 03 : 2015 realisierte Lighting Boy Studio das Filmprojekt Le Gouffre. Eine Kickstarter-Kampagne brachte den Animationsfilm über die Zielgerade. Ein animago-AWARD-nominierter Kurzfilm.

Dieser Artikel von Sabine Hatzfeld erschien ursprünglich in der DP 03 : 2015.

Für das Filmprojekt „Le Gouffre“ kündigten Thomas Chrétien, Carl Beauchemin und David Forest ihre Jobs, formierten sich als Lightning Boy Studio und zogen aus Kosten- und Produktionsgründen zusammen. Eine Kickstarter-Kampagne brachte den Animationsfilm mit dem ungewöhnlichen Look zum Abschluss, der 2O14 für einen animago AWARD in der Kategorie „Bester Kurzfilm“ nominiert war.

Das Trio lernte sich 2006 am kana- dischen College „Cégep du Vieux Montréal“ (www.cvm.qc.ca) kennen. Carl Beauchemin und David Forest studierten 3D-Animation, Thomas Chrétien 2DAnimation. Im dritten und letzten Studienjahr beschloss man, künftig zusammen als Filmemacher zu arbeiten. Thomas hängte daraufhin noch ein zweijähriges 3D-Studium dran, während Carl und David schon erste Erfahrungen in der Branche sammelten.

Nachdem ein halbes Jahr lang die Story entwickelt wurde, ging es Anfang 2012 endlich mit der Produktion los – trotz mittlerweile Vollzeitbeschäftigung aller Teammitglieder. Carl und David arbeiteten als 3D-Animators bei Modus FX an dem ersten kanadischen 3DFeature-Film „The Legend of Sarila“, Thomas verdingte sich als VFX-Artist für Mobile Games bei der Firma Gameloft (www.gameloft.com). Zeit für „Le Gouffre“ blieb nur nachts oder an den Wochenenden. Nach einem halben Jahr kündigten deshalb alle drei, um nur ab und an zu jobben und ansonsten Vollzeit an ihrem Film zu arbeiten. Um Kosten zu sparen zogen sie zudem in eine Wohnung. Wir sprachen mit Carl Beauchemin über das Projekt, das gegen Ende erfolgreich über Kickstarterfinanziert wurde. Film und Makingof sind seit Februar dieses Jahres auf Vimeo online (bit.ly/1zgSovu und bit.ly/1zMo3C1).

DP: Hallo Carl, warum habt ihr nicht gleich zu Beginn eine CrowdfundingLösung oder Fördermöglichkeit in Betracht gezogen?

Carl Beauchemin: Unser ursprünglicher Plan war es, einen staatlichen Zuschuss zu bekommen. Aber wenn Sie zum ersten Mal einen Film machen, vertraut Ihnen niemand. Unser Antrag wurde drei Mal in Folge abgelehnt. Zugleich war uns klar, dass uns keine Firma unterstützen würde, solange noch keine vorzeigbaren Shots zu sehen waren. Aus diesem Grund kamen wir auch vom Crowdfunding ab. Wie wollen Sie die Leute ohne tatsächlich gerenderte Shots davon überzeugen, dass man einen guten Film machen kann?

DP: Welches Hardware-Equipment ließ euer Budget zu?

Carl Beauchemin: Jeder von uns besaß noch aus Studienzeiten – wegen der 3D-Hausaufgaben – einen guten Computer. Darüber hinaus stand uns noch ein spezieller Rechner zur Verfügung: 2007 hat David eine Illustration bei einem Wettbewerb eingereicht, der von cgsociety.com ausgerufen wurde – und belegte prompt den ersten Platz! Als Preis gab es einen Maingear Shift (www.maingear.com), dem wir den Spitznamen „das Biest” verpassten und der seinem Namen beim Rendering alle Ehre machte.

DP: Wie war eure Pipeline aufgebaut?

Carl Beauchemin: Der Löwenanteil der Arbeit – also Modeling, Animation, Rigging, VFX, Rendering – wurde in Softimage erledigt. Zusätzlich haben wir ZBrush für die Detailarbeit an einigen Modellen eingesetzt. Concept Art und Storyboards entstanden ganz klassisch auf Papier oder in Photoshop. Das Compositing fand in After Effects statt, der Schnitt erfolgte in Sony Vegas. Darüber hinaus haben wir noch mit Slipstream VX von Exocortex gearbeitet, einem Plug-in für Softimage. Damit haben wir jede Partikelsimulation umgesetzt, die im Film zu sehen ist (exocortex.com/products/slipstream).

DP: Wie kamen Previs und Animatics zum Einsatz?

Carl Beauchemin: Das waren essenzielle Bestandteile unseres Workflows. Wir haben Monate damit zugebracht, am Animatic zu arbeiten. Wir wollten sicherstellen, dass das Timing passt und die Handlung schlüssig ist. Mithilfe der Previs konnten wir eine grobe Fassung unserer Sets erstellen, um eine Vorstellung von den Größenverhältnissen zu bekommen.

DP: Was hat euch zu diesem Film inspiriert?

Carl Beauchemin: „Le Gouffre“ spielt an einem nicht näher definierten Ort. Wir haben uns zwar Bilder von Canyons angesehen, aber diese nicht eins zu eins übernommen, sondern im Maßstab verändert und unserem gewünschten Film-Look angepasst. Bei den Charakteren legten wir Wert auf einen zeitlosen Look. Wir haben auf Details wie Reiß- verschlüsse oder Logos verzichtet, damit das Design nicht zu modern rüberkommt. Unser Ziel war es, dem Film eine besondere Stimmung zu verleihen, vergleichbar mit einer Legendenerzählung.

DP: Wie entstand der ungewöhnliche Look?

Carl Beauchemin: Wir hatten einen ganz bestimmten Look im Sinn und es hat lange gedauert, bis wir wussten, wir ihn überhaupt umsetzen können. Am Ende lief es darauf hinaus, dass wir alle Texturen per Hand malen und einen cleveren Weg finden mussten, um die Shots zusammenzustellen. Während dieses Prozesses wurde uns klar: Für einen einzigartigen visuellen Stil mussten wir alles vergessen, was wir in der Schule übers Compositing gelernt haben. Stattdessen suchten wir einen Weg, alles in Photoshop mit Layern und Paint-Brushes umzusetzen.

DP: Wie habt ihr das konkret bei den Sets umgesetzt?

Carl Beauchemin: Für die Sets haben wir zuerst die Meshes mit UVs auseinandergefaltet, um die Texturen in mittlerer Auflö- sung überall zuzuweisen. Damit konnten wir sicherstellen, dass alles gut und von weiter weg wie gemalt wirkt. Aus der Nähe hingegen hat das manchmal wirklich schlimm ausgesehen, aber das spielte keine Rolle: Wir haben in so einem Fall ein Screen Capture des Sets vom Kamerawinkel des Shots gemacht und die ganzen hochaufgelösten Details in Photoshop gemalt. Oft haben wir auch mal schnell einen Graustufen-TexturShader fürs Rendering erstellt, um auf eine neue Textur weitere Details zu bekommen. Dann mussten wir nur noch das Ganze wieder zurück auf das Original-Mesh projizieren. Natürlich funktionierte das nur, wenn der Kameraschwenk nicht zu stark war. Ansonsten hätte man gesehen, dass die Projektion sich auf eine etwas seltsame Art ausdehnt.

DP: Wie seid ihr an den Look der Figuren herangegangen?

Carl Beauchemin: Da sie ja animiert waren, konnten wir nicht dieselbe Projektionstechnik anwenden. Stattdessen setzten wir auf gute, handgemalte Texturen und viele, viele Passes. Wir hatten je eine separate Maske für den Kopf, die Hände, die Augen und das Haar sowie wie für jedes einzelne Kleidungsstück. Jedes Licht haben wir so behandelt, als wäre es ein Farb-Layer. Wir haben also genau die Farbe ausgewählt, die wir in der beleuchteten Szene einsetzen wollten und sie als Solid Color zugewiesen, anstatt den Layer in einem zusätzlichen Modus zu haben. Das hat uns sehr geholfen, diesen klassischen CG-Look loszuwerden.

DP: Habt ihr eigentlich den Einsatz von einem günstigen MoCap-System für Animationsreferenzen in Erwägung gezogen?

Carl Beauchemin: Nein. Erstens war das nie unsere Intention und zweitens hätte das unser Budget ohnehin nicht erlaubt. Allerdings haben wir alle Einstellungen selber durchgespielt und zu einem Referenz-Realfilm geschnitten. So konnten wir sehen, ob der Flow des Films funktioniert. Dabei haben wir immer versucht, die Kameras wie im Animationsfilm gedacht zu platzieren, um ebenfalls testen zu können, ob die Schnitte passen. Der größte Vorteil des Videoreferenzmaterials ist aber, dass man all die feinen kleinen Bewegungen sehen kann. Damit konnten wir die Animation im Film so real wie möglich aussehen lassen.

DP: Welche Herausforderungen gab es beim Rigging?

Carl Beauchemin: Wie man in Maya riggt, wussten wir ja schon. Aber da wir das Projekt in Softimage umsetzen wollten – mit diesem Programm haben wir nach dem Studium hauptsächlich gearbeitet –, mussten wir alles von der Pike auf noch einmal lernen. Das erste Character-Rig war also eine ziemliche Herausforderung. Wir haben einen Monat gebraucht, um es fertigzustellen. Aber danach ging es nur noch darum, dieselben Schritte zu wiederholen. Dabei sorgten wir dafür, dass gleiche Teile der Rigs bei allen Figuren dieselben Namen trugen. So konnten wir die Animation eines Characters auf einen anderen übertragen, was die Produktion erheblich beschleunigte. Das betraf vor allem Bewegungen wie laufen, jubeln oder aussäen. Um den Prozess der Gesichts- und Fingeranimation zu vereinfachen, standen uns Visual Panels zur Verfügung. Damit ließen sich schnell und intuitiv Animations-Controller auswählen. Aber unsere größte Herausforderung war die Brücke. Sie bestand aus über 70 duplizierten Einzelteilen, also musste das Rigging von Beginn an gut durchdacht sein.

DP: Welche ZBrush-Tools waren für euch nützlich?

Carl Beauchemin: Am häufigsten haben wir den ClayTubes-Brush verwendet, mit dem sich gut Details verfeinern lassen, vor allem wenn man ihn zusammen mit dem Smooth-Brush verwendet. Zudem verhält sich der Pinsel ganz ähnlich wie der, den wir in Photoshop für das Malen unserer Texturen eingesetzt haben. Als weitere nützliche Pinsel kann ich noch Pinch und Slash3 nennen, mit denen wir alle Spalten und Details der Felswand oder die Falten in der Kleidung gemalt haben. Zudem stellte sich der Decimation Master als Lebensretter heraus. Wir mussten oft in letzter Minute hochaufgelöste Set-Elemente im Close-up erstellen. Dieses Plugin hat uns geholfen, Meshes zu exportieren, die zwar viel Details aufwiesen, sich aber trotzdem noch schnell rendern ließen. In unserem Painting-Prozess erwies sich auch ZAppLink als nützlich, da man damit eine Bildbearbeitungssoftware – in unserem Fall war das Photoshop – nahtlos in ZBrush integrieren kann.

DP: Wie verlief die Arbeit mit Sony Vegas?

Carl Beauchemin: Diese Schnittsoftware kam für das gesamte Editing zum Einsatz. Wir haben den Schnitt fast jeden Tag aktualisiert. Das war genial, um den Überblick zu behalten. Wir wussten immer genau, was bereits erledigt war und was nicht. Wir haben viele Videospuren übereinandergestapelt: 2D-Animatic, Film-Referenzen, AnimationCaptures und Final Render. Wenn wir einen neuen Clip hinzugefügt haben, konnten wir die ganze Sequenz abspielen, um sicherzustellen, dass alles flüssig läuft.

DP: Welchen Renderer habt ihr verwendet?

Carl Beauchemin: Da wir nicht über die Mittel verfügten, um komplexe Shader und das Lighting zu rendern, haben wir Basis-Shader, meistens Surface Shaders und Lamberts, verwendet. Alle Details befanden sich in den gemalten Texturen, also haben wir darüber hinaus nichts Komplexeres gebraucht. Wir haben sogar das Subsurface Scattering in manchen Texturen gefaked, etwa bei den Ohren der Figuren. Gerendert wurde in Mental Ray, dem Standard-Renderer in Softimage. Der Renderer hat einen guten Job gemacht und unsere Frames in einer ordentlichen Geschwindigkeit produziert.

DP: Wie lang hat das Rendering gedauert?

Carl Beauchemin: Wir haben jede Nacht und an den Wochenenden Frames gerendert – für über ein Jahr. Die genaue Zahl der Stunden kann ich dir nicht sagen, aber es werden um die 15.000 zusammengekommen sein. Den Service einer Renderfarm konnten wir ja aus Budgetgründen nicht in Anspruch nehmen.

DP: Wie hat euch Kickstarter am Schluss geholfen?

Carl Beauchemin: Diese Crowdfunding-Plattform war unser letzter Ausweg – und unsere beste Entscheidung während des gesamten Projekts. Mitte 2013 ging uns das Geld aus und wir suchten nach finanziellen Möglichkeiten, um unsere Musiker und den Sound Designer bezahlen zu können. Das heißt, eine wo auch immer gestartete Kampagne musste einfach funktionieren. Ein entscheidender Punkt war, dass wir bereits Follower hatten. Nicht viele, aber gerade genug, um ein paar hundert Leute zu erreichen, die unsere Kickstarter-Seite nach dem Launch mit ihren Freunden teilten. Eines unserer Ziele gleich zu Beginn bestand darin, eine Fanbase aufzubauen. Dafür haben wir einen Produktionsblog ins Leben gerufen und dort alle zwei Wochen Concept Arts, Insider-Infos, aber auch viele Tipps & Tricks veröffentlicht, die wir aus unserer Arbeit gewonnen hatten. Parallel dazu haben wir unsere Facebook-Seite gefüllt und fortwährend in verschiedenen CG-Foren geposted. Nach eineinhalb Jahren kam eine ganz ordentliche Anzahl an Followern zusammen. Aber es hat ganz schön gedauert und uns große Mühe gekostet, diese Fanbase aufzubauen.

DP: Zu diesem Zeitpunkt konntet ihr aber schon erste Ergebnisse vorweisen.

Carl Beauchemin: Das ist richtig, wir waren schon sehr weit in der Filmproduktion. Diesem glücklichen Umstand zufolge konnten wir nicht nur eine Menge Shots zeigen, sondern auch einen Trailer schneiden, der die Aufmerksamkeit der Leute erregte. Es war zudem ganz offensichtlich, dass wir bereits eine Menge Zeit, Mühe und Geld in dieses Projekt investiert hatten. Die Aussage war also nicht: „Gebt uns Geld, damit wir unseren Traum verwirklichen können“. Vielmehr kam rüber, dass wir bereits alles getan haben, was wir alleine bewerkstelligen konnten. Jetzt ging es nur noch um diesen kleinen Push, den wir brauchten, um das Projekt fertigzustellen. Ich denke, diese Herangehensweise hat die Leute berührt und geholfen, dass diese Kampagne ein so gro- ßer Erfolg wurde: Mit 711 Backers haben wir statt der geplanten 5.000 stolze 24.155 Kanadische Dollar zusammenbekommen.

DP: Würdet ihr im Rückblick etwas anders machen?

Carl Beauchemin: Nein, ich denke nicht. Das größte Problem für uns war, dass wir uns mit der Zeit verschätzt haben. Wir haben zwei Jahre für die Produktion gebraucht, statt einem Jahr wie geplant. Rückblickend gab es keinen anderen Weg, um die Qualität zu erzielen, die wir haben wollten. Im Grunde waren unsere Naivität und unser Enthusiasmus von Vorteil. Denn wenn wir vorher gewusst hätten, dass es zwei Jahre dauern würde, hätten wir vielleicht ein paar Jahre gewartet, bis wir mehr Geld zusammengehabt hätten. Wahrscheinlich hätte dann einer von uns seine Meinung geändert und entschieden das Ganze abzublasen. „Le Gouffre” wäre wohl nicht so geworden, wenn wir länger gewartet hätten.

DP: Wie geht es nun für euch weiter?

Carl Beauchemin: Der Film hat seine Festival-Laufzeit beendet und ist mittlerweile online. Er ist unglaublich gut angekommen und wir könnten nicht glücklicher sein. Von Anfang an war es unser Ziel, die Aufmerksamkeit der Menschen zu erreichen, die in der Filmbranche arbeiten. Wir wollten zeigen, was wir als Team auf die Beine stellen können. Wir hoffen, dass sich aus diesem Projekt neue Partnerschaften ergeben. Als Lightning Boy Studio möchten wir Projekte entwickeln und Regie führen. Allerdings liegt uns viel daran, mit anderen Studios zusammenzuarbeiten, die administrative Parts wie das Anmieten von Räumen und Einstellen von Mitarbeitern übernehmen. Darüber hinaus haben wir alle noch eigene Jobs: Nach Fertigstellung von „Le Gouffre“ hat David zusammen mit seiner Frau „MrCuddington“ (mrcuddington.com) gegründet und erstellt nun von zuhause aus Illustrationen für Brettspiele. Ich arbeite mittlerweile als 3D-Artist beim Pascal Blais Studio (www.pascalblais.com), das sich auf Animationen für Werbespots spezialisiert hat und Thomas arbeitet als Regisseur und VFX-Artist bei Hibernum Creations (www.hibernum.com), einem Unternehmen für Mobile Games.

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