First Cycle | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 01 : 2016 sprachen wir mit Mathieu Auvray – französischer Regisseur mit zehn Jahren Berufserfahrung. Mit welchen Tools werkelt der Artist très français?
  • Dieses Interview erschien ursprünglich in der DP 01 : 2016
  • Lest auch den dazugehörigen Artikel, den wir euch kostenlos am 26.01.2022 bereitgestellt haben
  • Den kompletten Kurzfilm „Cosmos Laundromat“ haben wir euch am 27.01.2022 im Rahmen unserer Reihe „Animago Afternoon“ verlinkt

Mathieu Auvray ist ein französischer Regisseur, der auf fast zehn Jahre Erfahrung im Filmemachen zurückblicken kann. Er begann als 2D-Artist bei Nobrain, aus dem später das Sabotage Studio entstand. Dort arbeitete er an Musikvideos, TV-Idents und Filmvorspännen. Dabei begann er, sich langsam in Richtung 3D zu orientieren. Blender war dabei das Tool seiner Wahl.

Für die Firma Autour de Minuit begann er, ganze Kurzfilme in Blender zu reali- sieren. Dazu kommt eine TV-Serie namens „Babioles“, deren Pilot-Episode 2010 einen animago AWARD abräumen konnte.

DP: Mathieu, wie bist du auf Blender gestoßen?

Mathieu Auvray: Ich habe mit Videoschnitt angefangen und wurde dann 2D-Artist. Zuerst habe ich als Cutter an Dokumentationen gearbeitet. Da ich früher kurz eine Kunstschule besucht hatte, bin ich in die Welt der Computergrafik abgetaucht. Zuerst als Matte Painter, dann als Designer für TV-Idents. Weiter ging es in den Bereich 2D-Animation und Compositing für Musikvideos, Werbefilme und VFX. Jeder, mit dem ich arbeitete, nutzte 3ds Max oder Maya als 3D-Software und es reizte mich eine ganze Weile, mich in eines dieser Programme einzuarbeiten. Aber unser Technical Director war ein großer Fan von Open Source – und ich mochte Linux, Firefox und andere Open-Source-Software. Er hat mir also Blender gezeigt und ich dachte mir: „Nun, nachdem es sowieso mehrere Jahre brauchen wird, bis ich mit irgendeiner dieser 3D-Softwares zurechtkommen werde, warum nicht mit Open Source anfangen?“ Es hat wirklich mehrere Jahre gedauert, um zu lernen, wie man Blender bedient, und ich lerne immer noch. Aber es wurde mein Lieblingsprogramm zum Filmemachen. Und weil man damit wirklich komplette Filme erstellen kann, begann ich mit meinen eigenen. So wurde „Babioles“ geboren. Hier ist mein allererster Test, das war vor sechs Jahren: vimeo.com/2265583. Das Tracking musste ich damals noch mit PFTrack durchführen, da Blender noch kein eigenes Tracking-Modul hatte. Als wir richtig mit „Babioles“ angefangen haben, konnten wir bereits ein wenig den Tracker in Blender einsetzen. Er befand sich noch in einer frühen Entwicklungsphase, war aber schon äußerst hilfreich.

DP: „Babioles“ hat einen animago AWARD und einen Suzanne Award der Blender Foundation erhalten. War das dein Fuß in der Tür bei „Project Gooseberry“?

Mathieu Auvray: Der „Babioles“-Kurzfilm war als Pilot für eine TV-Serie gedacht. Aber die Produktionsfirma, mit der ich in Frankreich arbeite, war nicht groß genug, um 24 Episoden mit einer solchen Qualität zu produzieren. Wir hatten auch Schwierigkeiten, in Frankreich 3D-Artists mit BlenderErfahrung zu finden. Daher haben wir Ton Roosendaal kontaktiert und uns ins Blender Institute in Amsterdam begeben, um das Team dort zu treffen und herauszufinden, ob sie uns behilflich sein könnten. Leider gestaltete es sich schwierig, Open Source und Creative Commons und ein geschlossenes, kommerzielles Projekt zu vermischen. Also sind wir zurück nach Frankreich und haben selbst Leute angelernt und die gesamte Serie allein produziert. Wir hatten aber Hilfe von Nozon, einer Postproduktionsfirma. Sie unterstützten uns beim Rendern und Compositing. Die Episoden wurden komplett in Blender erstellt mit Ausnahme des Compositings, wofür Nuke eingesetzt wurde. Seit dem Besuch im Blender Institute sind Ton, Nicolas (der Chef von Autour de Minuit) und ich in Kontakt geblieben. Ein paar Jahre spä- ter hat Ton mich zur Blender Conference eingeladen. Da hat er mir die Idee von „Project Gooseberry“ vorgestellt und mir angeboten, die Regie zu übernehmen.

DP: Wie war die Vorproduktion? Welche Ideen habt ihr diskutiert, bis ihr euch auf das Konzept „Schaf sucht interessanteres Leben“ geeinigt hattet?

Mathieu Auvray: Wir haben einige Ideen recht schnell aussortiert, was an der Natur des Projekts lag, nämlich dass zwölf Studios Teile des Films umsetzen. Die Idee eines Schafs, das auf einen Vertreter trifft, der ihm ein aufregenderes Leben in anderen Universen oder Lebensformen verkauft, kam mir schon früh. Es war eine meiner ersten Ideen und Ton mochte sie. Zuerst habe ich mit einem französischen Drehbuchautor gearbeitet, Régis Jaulin, ein wirklich groß- artiger Autor, der sich auf Animationsfilme spezialisiert hat. Was er schrieb war sehr gut, komplex und ein großer Film – auf Höhe mit Pixar- und Sony-Filmen, was das Drehbuch und die Herausforderungen angeht. Aber das konnten wir nicht realisieren. Also habe ich versucht, das Ziel des Films zu vereinfachen. Es sollte eher ein Independent-Film werden. Außerdem wollte ich mit Esther Wouda arbeiten, da ich „Sintel“ mochte und der Meinung war, dass ein weiblicher Drehbuchautor mehr Feingefühl in die sonst von Männern dominierte Animationswelt bringen könnte. Also haben wir uns getroffen und ein Stein fiel auf den anderen. Wir waren schnell aufeinander eingespielt und was mich besonders freut, ist, dass der finale Plot sehr nahe an dem ist, was wir uns in Bezug auf Emotionen und Empfindungen von Anfang an vorgestellt hatten.

DP: Wie hätte im ursprünglichen Konzept das Kern-Team in Amsterdam die Fäden beieinander gehalten? Wie viel Freiheiten hätten die externen Studios in Bezug auf Stil und Erzähltempo bekommen?

Mathieu Auvray: Da gab es einige Debatten. Jedes Studio hätte im Grunde seinen eigenen Film gemacht, von uns wären nur das Skript und einige Vorgaben gekommen. Für mich war das weder fair noch realistisch. Ich wäre als Regisseur für die Arbeit anderer ausgezeichnet worden. Es hätte auch sicher Probleme mit der Continuity gegeben. Es machte für mich einfach wenig Sinn in Hinblick auf die Regie der Sprecher, das Erzähltempo, Emotionen und so weiter. Wir haben also lange darüber gesprochen und kamen zu dem Schluss, dass wir mindestens Storyboards vorgeben würden. Die Art Direction wäre komplett frei gewesen, von uns aber wären Anweisungen zu Emotionen und Stimmung gekommen. Man hätte eine gute Verbindung zwischen den Studios und dem Blender Institute benötigt, fast schon 24 Stunden täglich aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen.

DP: Das wäre ein echter Stresstest für das geplante Shot-Management gewesen, bei dem ihr nur auf die grundlegenden Arbeiten von „Tears of Steel“ aufbauen konntet. Wie umfangreich habt ihr technische Details und Ziele während der Vorproduktion diskutiert?

Mathieu Auvray: Wir haben viel diskutiert. Jeder von uns war zugleich aufgeregt und verängstigt. Man benötigt viele erfahrene Artists von erfahrenen Studios, um einfache Fehler zu vermeiden. Zudem hat jedes Studio seine eigenen Rezepte, wie sie eine Produktion stemmen. Eine Balance zu finden, die jedem Workflow gerecht wird, die Dinge zu vereinheitlichen, das wäre viel Arbeit gewesen. Aber Francesco, unser TD und Pipeline-Entwickler, hat einen guten Job im Bereich Asset Management, verteiltes Rendern und Workflow gemacht. Sein Design ist interessant und muss wachsen und in einem echten Produktionsumfeld getestet werden. Die Pilot-Episode hat ihren Auftrag, grundlegende Werkzeuge zu entwickeln und diese zu testen, inzwischen erfüllt. Jetzt kann der Workflow mit mehreren Studios erprobt werden.

DP: Inwieweit warst du in die Crowdfunding-Kampagne involviert? Von außen wirkte diese ein wenig verfrüht. Wichtige Features und Informationen wurden ausgerollt, als die Kampagne bereits lief.

Mathieu Auvray: Ich arbeitete am Drehbuch, an Designs, an Ideen, suchte Informationen zu den Teams und ihren grafischen Welten zusammen. Ich arbeitete außerdem noch in Frankreich an einem Kurzfilm. Ton und das Blender Institute waren beim Crowdfunding aber mit Leib und Seele dabei. Das ist auch einfach Tons Art, Dinge zu anzugehen: Nicht warten, bis alles vorbereitet ist, sondern gleich loslegen. Das ist großartig, kann aber auch zu Fehlern führen, und es kann passieren, dass manches dann verfrüht veröffentlicht wird. Aber immerhin tut man etwas und kann in Echtzeit testen. Zwar hätte das ein oder andere besser vorbereitet sein können, aber das Versagen ist hier immer noch relativ. Für ein Projekt ohne großen Namen haben wir immer noch viel Erfolg gehabt. Und das war Tons Teil an der Produktion. Er hat uns unterstützt und uns freie Hand beim Skript gelassen, also habe ich mich beim Crowdfunding auch nicht eingemischt. Das war sein Feld, und er hat gezeigt, dass er dort erfolgreich war, auch wenn es nicht der nächste Internet-Hype wurde.

DP: Hattet ihr da schon einen Plan B, falls das Crowdfunding-Ziel nicht erreicht würde?

Mathieu Auvray: Wir hatten alle möglichen Szenarios besprochen. Meine größte Sorge war, dass das Ziel erreicht würde. Dann hätte ich für 18 Monate meinen Schlaf aufgeben müssen. Die Idee mit der Pilot-Episode war schon früh eine Option.

DP: Mit einem kleinen Team direkt in Amsterdam zu arbeiten war sicher etwas ganz anderes, als das, worauf du dich vorbereitet hattest?

Mathieu Auvray: Das Team in Amsterdam war Teil des Plans von Tag eins an. Dort zu arbeiten, das sollte sowieso passieren. Ich wäre dann aber vor allem damit beschäftigt gewesen, die Arbeit der externen Studios zu überwachen. Und ich hätte nicht die Chance gehabt, um die Welt zu reisen und jedes Studio persönlich kennenzulernen.

DP: Unterscheidet sich ein Open Movie stark von einer herkömmlichen Produktion? Ihr musstet mit einer Software arbeiten, die sich ständig weiterentwickelt und in einer Art dauerhaftem AlphaZustand war. Andererseits hattet ihr Entwickler vor Ort, um Features genau nach euren Wünschen zu implementieren.

Mathieu Auvray: Ich glaube nicht, dass es viele kleine Studios mit so viel InhouseSupport gibt. Es war unglaublich, nach einer Änderung an einem derart komplexen Programm zu fragen – und sie ein paar Minuten später auf dem Schreibtisch zum Testen zu haben. Ich habe das überhaupt nicht als unkomfortabel erlebt. Es gab zwar Abstürze und Bugs, aber insgesamt wurde die Arbeit nie blockiert oder verlangsamt, da man immer zu stabileren Versionen zurückgehen kann. Das ist auch eine der wirklich guten Sachen an Blender. Man kann jede Version nehmen, es gibt fast keine Konflikte, wenn man weiß, was man tut. Die Chance zu haben, Entwicklern direkt zu zeigen, wie man ihre Tools anwendet, ist faszinierend. Manchmal tut man das ja auf eine Art und Weise, die sie sich nie hätten träumen lassen. Man kann aufgrund seiner eigenen Erfahrung den besten Weg, ein Feature zu implementieren, diskutieren. Gleichzeitig kann man sichergehen, dass es sich in die vorhandenen Code-Reaktionen einpasst und weil man direkt damit arbeitet, wird gleich noch die Stabilität gewährleistet. Ich erinnere mich an lange Diskussionen mit dem Team über Videoschnitt, wie Cutter NLE-Software einsetzen und warum sie das auf diese Art machen. Als Anwender ist das auch interessant und herausfordernd, da man in diesem Prozess erfahren kann, wie ineffizient man selber die Werkzeuge der Entwickler einsetzt. Es werden all die Dinge aufgezeigt, die man von der Software noch nicht kannte – und wie faul man selber sein kann.

DP: Wie viele der technischen Ziele waren festgelegt, bevor die eigentliche Produktion angefangen hatte? Wann habt ihr euch zum Beispiel entschieden, auf Compositing zu verzichten und alles direkt in Cycles zu rendern?

Mathieu Auvray: Es gab viele technische Ziele bei diesem Projekt. Zu nennen wären das Asset Management und die Tools zum Online-Rendern, um den Langfilm überhaupt möglich zu machen. Ton wollte auch Verbesserungen im Bereich PhysikSimulation. Also haben wir uns für das Schaf, das Gras und den Tornado entschieden – bam! Außerdem gab es Herausforderungen beim Videoschnitt und obendrauf den Refactor des Dependency Graphs. Da Cycles wunderschöne Bilder ohne Nachbearbeitung erzeugen kann, und wir nicht viel Zeit für Feinarbeiten und Compositing hatten, fiel der Entschluss, alles direkt in Cycles zu rendern. Das hat uns viel Zeit und händische Arbeit gespart, aber die Renderzeiten schossen in die Höhe. Hilfreich war allerdings, dass wir viele ähnliche Shots im gleichen Environment haben. Acht Minuten des Films spielen am gleichen Ort in derselben Umgebung mit nur zwei Lichtsituationen, nämlich frü- her Morgen und der Sturm. Sobald man ein gutes Licht-Setup hat, das in den meisten Shots funktioniert, muss man nur noch ganz wenig ändern, damit sie zusammenpassen. Allerdings hatte ich auch den Wunsch, dass der fertige Film Bewegungsunschärfe enthält. Aber weil die Szenen so groß waren und lange Renderzeiten hatten, mussten wir darauf verzichten.

DP: Wie profitiert der durchschnittliche Blender-Nutzer vom Projekt „Gooseberry“ beziehungsweise dem „Cosmos Laundromat“-Pilot?

Mathieu Auvray: Ich weiß nicht, wie viele Bugs während der Produktion entdeckt und korrigiert wurden. Ich kann auch nichts Genaues über die vielen Verbesserungen an Features und Performance sagen, aber es ist enorm! Auch sind die Refaktorisierungen manchmal nicht direkt im UI sichtbar. Eine starke Überarbeitung des Codes kann im Hintergrund ablaufen und dann neue Möglichkeiten eröffnen. Sergey und Lukas arbeiteten viel, um Code aufzuräumen und für zukünftige Refaktorisierungen zu dokumentieren. Das ist eine unsichtbare Arbeit, die aber notwendig ist und viel Zeit frisst. Bei vielen großen Software-Paketen passiert das viel zu selten. Da werden einfach nur Features hinzugefügt und es wird darauf geachtet, dass sie funktionieren. Hier im Blender Institute wird konstant versucht, Dinge zu optimieren und darauf zu achten, dass sie so programmiert sind, dass auch zukünftige Entwickler den Code verstehen und eigenen hinzufügen können.

DP: Wie geht es weiter im „Cosmos Laundromat“? Haben wir eine Chance, endlich Tara kennenzulernen?

Mathieu Auvray: Ich hoffe es. Das ist der wichtigste Teil: Die Liebesgeschichte. Die fehlt im Pilot komplett. Das Blender Institute hat einige kleinere Projekte am Laufen, mit denen es bis Ende des Jahres beschäftigt sein wird. Ich weiß, dass Ton bald eine Entscheidung über die Zukunft von „Cosmos Laundromat“ treffen wird. Das kommt auf das Feedback an, besonders, weil große Studios und eine große Produktionsfirma ihre Gedanken dazu mit ihm teilen.

Es gibt drei Optionen:

1. Wir belassen es dabei und ziehen weiter.

2. Uns gelingt die Finanzierung des gesamten Films.

3. Wir produzieren weitere Episoden, zunächst einmal sieben Minuten, mit den Einkünften aus der Blender Cloud.

DP: Wie waren die Reaktionen auf die Pilot-Episode? Sowohl Dreamworks als auch Pixar hatten euch zu einem Sonder-Screening vor ihren Mitarbeitern eingeladen.

Mathieu Auvray: Ich war zu diesem Zeitpunkt mit meiner Freundin im Urlaub in Thailand, daher konnte ich leider nicht mit zu Pixar und Dreamworks. Aber das Team hat mir von seinen Erfahrungen erzählt. Es gab großartiges Feedback. Wir erhielten viele Gratulationen auf der technischen Seite, aber auch der Film an sich wurde enthusiastisch aufgenommen. Zumindest war das Interesse groß genug, dass die Zuschauer wissen wollten, wie es weitergeht. Von den Leuten, die den Film online gesehen haben, aber auch von Kollegen erhielt ich ebenfalls viel positives Feedback. Eines war allen gemein: Was passiert als Nächstes? Das war unser Hauptziel, da ja die Produktion so stark eingedampft wurde. Die Tonalität des Films und die Empfindungen, die er evoziert, hat viele Leute berührt – und auch überrascht, da „Cosmos Laundromat“ für einen Animationsfilm eher ungewöhnlich ist. Ich bin sehr stolz darauf, dass die meisten wissen wollen, wie sich die Story weiter entfaltet. Darüber hinaus bemerken sie die 10 Minuten Filmlänge kaum. Das ist wirklich fantastisch, denn genau das wir wollten erreichen, ohne dafür einen klassischen Cliffhanger bemühen zu müssen.

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.