Dunkles Erwachen | Retro-Artikel

Rückblick: In der DP 05 : 2010 verzogen sich die Finnen von Remedy Entertainment in den Nordwesten Amerikas – Recherche für Alan Wake. Konnte das neue Spielekonzept an das Vorgängerprojekt Max Payne: The Fall of Pax Payne heranreichen?

Dieser Artikel von Peter Rizkalla erschien ursprünglich in der DP 05 : 2010.

60.000 Fotos, dutzende Nächte im Wald, um die richtigen Geräusche aufzunehmen, ein dichtes Netz an Locations im Nordwesten Amerikas – so sah die Recherche für Remedy Entertainments neuesten Hit „Alan Wake“ aus. Das finnische Entwicklerstudio, das 2001 mit Max Payne II vorgeführt hat, wie Atmosphäre in einem Spiel aussehen kann, hat jetzt mit „Alan Wake“ ein neues Konzept erprobt.

Bei der allerersten Vorstellung auf der E3 im Jahr 2005 war die Fachpresse, was Steuerung und Aussehen betraf, bereits von den ersten Eindrücken begeistert.

Der Versuch, die Stimmung der düsteren Betonschluchten von Max Payne auf die organische Umgebung zu übertragen, schien gelungen zu sein. Gleichzeitig sollte Alan Wake aber eine ganz neue Spielerfahrung bieten. Im Gespräch mit Remedy Entertainments Managing Director Matias Myllyrinne ging es nun um Entwicklung und Aufbau von Alan Wake. Der erste Schritt war ein klares Konzept für das Spiel, um die Stimmung festzulegen.

„Wenn man einen Thriller wie Alan Wake entwickelt, braucht man zuallererst einen guten, realistischen Grundstock“, sagt Myllyrinne und fährt fort: „Es muss sich authentisch anfühlen, real. Bei diesem Spiel ging es um die Landschaft des amerikanischen Nordwestens. Diese haben wir destilliert, bis sie unverkennbar geworden ist. Dafür haben wir Schauplätze von Oregon bis Washington und sogar bis Kanada abgegrast.“ Remedy hat sich in einigen Städten umgeschaut, die bereits als Drehplätze bekannt sind, unter anderem Astoria im Bundesstaat Oregon. Hier wurden schon Filme wie „The Ring“ und „The Goonies“ gedreht. Beim Besuch dieser und weiterer Städte wurden dauernd Szenen gefunden, die ins Spiel passen. So zum Beispiel Geisterstädte, Sägemühlen und die allgemeine Vegetation mit ihren Besonderheiten, zum Beispiel ein dichterer Buschbewuchs als im Inland. Alle Gegenden wurden ausgewählt, weil sie in irgendeiner Form die Leute beeinflussen. „Alan Wake ist ein Psycho-Action-Thriller. Wir haben Intrigen um den Spieler gewoben, damit er sich fragt, ob das gerade wirklich passiert, und dabei ein spannendes Action-Spiel mit vielen Herausforderungen geschaffen.“

Remedys Wunsch-Atmosphäre bestand aus Trauer und Hoffnungslosigkeit. „Wir wollten ein eigenes Gefühl schaffen, einen Rückblick auf die Welt. Und diesen eher wie auf der Kinoleinwand gestalten und nicht wie im Reality-TV. Das bedeutete, dass wir vorsichtig mit der Beleuchtung waren und uns Kamera und Setting sorgsam überlegt haben – im Gegensatz zur Handkamera, die einfach drauflos rennt.“

Design und Entwicklung

Alan Wake ist weit weg vom Fotorealismus. Auch wenn viele Gegenstände realistisch sind, strotzt das Spiel vor übernatürlichen Phänomenen. „Die Grundlage ist r ea listisch“, sagt Myllyrinne, „aber darauf haben wir noch aufgebaut. Alans Feinde wurden von der Dunkelheit infiziert und sind daher durch Licht verwundbar.“

Deswegen zerstört man sie auch mit Helligkeit. Das ganze Spiel hindurch ist Alan Wake mit einem Sortiment an Lichtquellen au sgerüstet – von Taschenlampen über Magnesium-Fackeln bis zu Blitzgranaten. Feinde müssen nämlich erstmal durch das Licht geschwächt und gebremst werden, bevor sie überhaupt einer Schrotflinte erliegen.

Licht und Schatten

Die lebenden Schatten waren zu wichtig, und deswegen hat sich Remedy nicht nur mit irgendeinem Raucheffekt zufriedengegeben. Es wurden innovative Konzepte für die Umsetzung entwickelt. Zum Beispiel erhielt man Inspiration durch die Bewegung von Tinte im Wasser. Dazu wurden Unmengen an b lauer und schwarzer Tinte ins Wasser geschüttet und gefilmt. „Wenn Sie sich an den Film ,Insomnia‘ erinnern, solche blauschwarzen Schatten“, so Myllyrinne.

Daraus ergibt sich, dass Licht die größte Entwicklungshürde war, denn in Alan Wake hilft Licht nicht nur beim Erkennen von Gegnern, sondern ist auch eine Waffe. Allein die Lichtmenge der Situation soll schon den Spieler beeinflussen – ob er sich sicher fühlt oder verwundbar. Die Beleuchtungs-Engine wurde von Grund an aufgebaut, um die wichtigen Elemente von Licht und Schatten präzise kontrollieren zu können. „Denn schon bald nach dem Entwicklungsstart hat sich herausgestellt, dass keine bestehende Lösung das Ausmaß an Kontroll-Möglichkeiten bietet, dass wir benötigten. Dadurch haben wir oft einen bislang ungekannten Level an Detailgenauigkeit und Tiefenschärfe erreicht“, erklärt Myllyrinne.

Um die Beleuchtung realistisch wirken zu lassen, müssen beispielsweise kleine Gegenstände in der Nähe scharf und präzise abgebildet sein, während alles Entferntere, um in der Stimmung zu bleiben, nur eine abstrakte Form sein darf. Die Rendering Artists haben aber auch bis zuletzt genau daran gearbeitet – und arbeiten weiter daran, da es für Alan Wake Zusatzinhalte gibt, die nach der offiziellen Veröffentlichung zur Verfügung stehen. Ein ungewöhnliches Spiel verlangt natürlich auch ungewöhnliche Werkzeuge für die Umsetzung. Da viel davon nicht auf dem Markt verfügbar ist, musste Remedy viele Tools selbst programmieren. „Einen Teil der Geometrie haben wir mit einem alten Tool aus unserem Hause gemacht. MaxED kam schon bei Max Payne zum Einsatz. Für das normale Mapping verwendeten wir ZBrush. N eben Eigenentwicklungen wurde mit Autodesk 3ds Max, MotionBuilder und Mudbox bei der Gestaltung von Umgebungen, Figuren und Spielanimationen gearbeitet“, erklärt Managing Director Myllyrinne.

Landschaft

Myllyrinne weiter: „Einen eigenen Editor für die Landschaft haben wir auch entwickelt. Zum Beispiel war unsere Welt zu groß – die Karte beläuft sich auf 8 mal 8 Kilometer. Bei 64 Quadratkilometern möchte man nicht alles selbst einstellen, weswegen der Editor mit einer Verringerung der Anzahl der Bäume reagieren soll, wenn es einen Berg gibt. Oder dass der Editor eine Architektur um die Straße baut – einen Straßengraben und Schotter, und eben keine großen Bäume. Die Umgebung ist ja auch ein Schlüsselelement für die Atmosphäre im Spiel. Zum Beispiel soll sich bei einer Gefahr die Lichtstimmung ändern – die Wälder sind dann dunkler und lebhafter.“

Es gibt dynamische Umgebungen mit Zweigen und Blättern, die auf den Spieler sowie auf Wind reagieren. Dazu wurde sorgfältig und langwierig an den komplexen Shadern und Simulationen geschliffen. Durch die enorme Größe der Spielwelt sollte man glauben, es mit einem Open-World-Game zu tun zu haben, aber das ist nur beinahe so. Myllyrinne: „Wir hatten angefangen, auf dem Sandbox-Prinzip zu entwickeln, aber das hat für uns nicht wirklich funktioniert. Unsere selbstentwickelten Werkzeuge sind zwar auf ein Open-WorldGame ausgelegt, aber uns waren Detailreichtum und Frame-Rates eines linearen Spiels wichtiger. Denn wenn das Spiel stockt und das Spielerlebnis dadurch auf der Strecke bleibt, helfen die besten Grafiken nichts.“

Charaktere

Auch in der Entwicklung der Charaktere hat Alan Wake eine andere Route genommen als sonst üblich. Auf Concept Art wurde komplett verzichtet und man arbeitete direkt mit stimmungsvollen Concept-Fotografien.

Für Alan als zentralen Charakter wollte Remedy einen „Erschöpft, aber verbissen“- Look erzielen. Dieser sollte wirken, als sei Alan immer kurz vorm Ausflippen und dabei gleichzeitig verkatert. „Für die anderen Characters haben wir uns eher an Fotografien orientiert als an Zeichnungen. Dabei haben wir mit echten Schauspielern zusammengearbeitet und diese sehr dramatisch ausgeleuchtet“, führt Myllyrinne aus.

„Bei den von der Dunkelheit infizierten Feinden haben wir mit Verzerrungen gute Resultate erzielt. Dazu kommt, dass wir die Gegner auch vom Klang her verändert haben. Sie sollten zwar noch realistisch sein, aber eben seltsam. Hauptcharakter Alan Wake ist sogar ein Abbild des finnischen Schauspielers Ilkka Villi“, erklärt Myllyrinne. Als Stimme wurde Matthew Porretta verpflichtet. Man kennt ihn am ehesten als Will Scarlet O‘Hara aus „Robin Hood: Helden in Strumpfhosen“.

Matias Myllyrinne wollte auch einen anderen Typ von Feinden. Keine Zombies und Krabben-Monster. Die Feinde sollten nichts Monströses haben, sondern als Einheimische erscheinen. Dem Spieler soll kein Mutantenmonster gegenüberstehen, sondern ein Ho lzfäller oder der Händler aus dem Fischladen. Die Art von Leuten, die man in einer Kleinstadt trifft – mit ihrer Persönlichkeit. Nur eben im Rahmen der Story etwas verschroben, be sessen und leicht verdreht.

Im ersten Entwurf sollten alle besessenen Figuren aus „Bright Falls“ Roben mit Kapuzen tragen, aber bis zum Ende war Remedy soweit, dass alle Leute in normaler Kleidung – zumindest für diese Region – herumlaufen. So fühlt der Spieler, dass jeder der Leute um in herum zu einem Besessenen werden kann. Die Animation ist eine Kombination von Motion Capture und handgemachter Key-Animation. „Für die Animation haben wir unser eigenes MoCap-Studio im Gebäude, da wir oft viele Anläufe brauchen. Die Umgebungs-Animation, wie zum Beispiel Gespräche der Charaktere, wurden per M otion Capture animiert, während Kampfsszenen direkt per Hand eingegeben wurden. Bei manchen Szenen muss man einfach zurück zu den Keyframes. Es sieht einfach besser aus, wenn die Gegner sich extrem bewegen. In anderen Szenen – zum Beispiel der In teraktion mit seiner Frau – soll es dann wieder möglichst realistisch sein“, so Myllyrinne.

Dabei kam dann Autodesk MotionBuilder hinzu, so Henrik Enqvist, Animationsprogrammierer bei Remedy Entertainment. „Komplizierte Skelette für die Spielfiguren zu gestalten kostet unser Animationsteam viel Zeit und Ressourcen, aber MotionBuilder erlaubt es uns, ein funktionierendes IKStandardskelett zu erhalten, mit dem unsere Artists sehr gerne arbeiten.“ Die Spielfiguren wurden z unächst in 3ds Max modelliert, bei den Details kam Mudbox dazu.

„Wenn wir diese Figuren nur in einem traditionelleren Polygon-Modeling-Paket gestaltet hätten, hätte es mehr einem technischen Arbeitsablauf geähnelt. Mit Mudbox sind unsere Arbeitsabläufe interaktiver und kreativer“, ergänzt Sami Vanhatalo, Lead Technical Artist. Beim Motion Capture wurde R emedy Entertainment von den Perspective Studios in New York und metricminds aus Frankfurt unterstützt. Aber auch andere Studios haben mitgeholfen – zum Beispiel CaptiveMotion für die Gesichtsbewegungen und Soundelux DMG für die Geräusch-Effekte.

Zusatzinhalte liefert Remedy noch nach. „The Signal” wird Alan Wakes Abenteuer um ungefähr 90 Minuten verlängern, und ein weiteres Kapitel kommt mit dem Titel „The Writer”, wofür allerdings noch kein Datum feststeht.

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