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RückblicK: In der DP 06 : 2014 gingen wir mit Performance-Capturing-Pionier Andy Serkis ins Gespräch – plauderten über Planet der Affen. Eine Begegnung auf der FMX 2014.

Dieser Artikel von Mirja Fürst erschien ursprünglich in der DP 06 : 2014.

Ein waschechter Hollywood-Star beehrte in diesem Jahr die FMX: Performance-Capture-Pionier und Schauspieler Andy Serkis sprach im Conference-Programm über den zweiten Teil „Planet der Affen – Revolution“ der Reboot-Reihe. DP traf Serkis in Stuttgart zum Interview.

Der Sicherheitsaufwand für den Vor- trag „Early Look at Dawn of the Planet of the Apes“ von Serkis war enorm: Alle Fenster der König-Karl-Halle wurden abgeklebt, damit niemand von außen einen Blick auf die Exklusiv-Szenen des Films erhaschen oder sie abfilmen konnte. Besucher mussten sich vorab für die Keynote anmelden und alle Sachen vor dem Betreten der Halle abgeben. Auf dem Stockwerk standen alle, die es nicht in den Saal geschafft hatten, für die Zeit der Keynote vor verschlossenen Klotüren. Der erste Blick auf die Szenen, in denen sich einige Shots noch in der Previs-Phase befanden, lohnte aber. Wenn man sah, was Ende April noch alles an CG-Shots fehlte, wurden der Umfang und das enge Zeitfenster von Weta bei diesem Teil deutlich und ihre Arbeit umso beachtlicher.

In nächster Zeit ist Andy Serkis gut beschäftigt. Es ist von Rollen für ihn im neuen „Star Wars“-Teil sowie in „The Avengers 2“ die Rede, natürlich immer begleitet von der Spekulation: Wird er als CG-Charakter auftreten oder darf er diesmal eine „echte“ Rolle spielen? Berühmt ist er in erster Linie für seine CG-Charaktere: Gollum hievte ihn in den Hollywood-Olymp und machte ihn zur Performance-Capture-Ikone. Seitdem verkörperte er schon King Kong, den Schimpansen Caesar und Captain Haddock. Laut Serkis macht es für ihn keinerlei Unterschied, ob er eine Live-Action- oder PerformanceCapture-Rolle spielt; bei beiden Formaten sei der Vorgang des Schauspiels der gleiche. Im Grunde würde es sich nur dadurch unterscheiden, was man am Set anhabe.

Für Serkis blieb es jedoch nicht beim Schauspiel in diesem Bereich: Mit The Imaginarium (www.theimaginariumstudios.com) in London hat er ein gut laufendes Performance-Capture-Studio zusammen mit Jonathan Cavendish gegründet, in dem beispielsweise „Ryse: Son of Rome“ (siehe auch DP-Ausgabe 02/14, PDF im DP-Webinhalt) realisiert wurde und derzeit die Verfilmung des Romans „Animal Farm“ unter Serkis’ Regie entstehen soll. Der Schauspieler unternahm an der Seite von Peter Jackson bereits bei der Second Unit für „Der Hobbit“ erste Ausflüge ins Regiefach.

DP: Wie hat sich Perfomance Capturing seit dem Beginn Ihres ersten Einsatzes verändert?

Andy Serkis: Von der Technikseite her immens: Bei „Herr der Ringe“ filmten wir auf 35 mm, ich wurde als Schauspieler mit den anderen Darstellern am Set gefilmt und musste dann noch einmal separat alle Szenen im Motion-Capture-Studio wiederholen. Damals gab es noch kein GesichtsCapturing, die Animatoren haben meine Gesichtsmimik lediglich kopiert. Bei „King Kong“ begannen wir zwar Gesichtsmarker zu verwenden, aber wir hatten immer noch keine Headmounted-Kameras. „Avatar“ war dann schon ein großer Sprung, weil mehrere Darsteller gleichzeitig im Studio aufgenommen werden konnten. „Planet der Affen – Prevolution“ war das erste Projekt, bei dem wir in der Lage waren, Performance Capturing am Set selber mit Headmounted-Kameras zu nutzen, ohne es im Studio noch einmal wiederholen zu müssen. Außerdem hat sich inzwischen die Wahrnehmung des Themas in der Branche und bei den Zuschauern entscheidend ver- ändert, es wird stärker akzeptiert.

DP: Wohin entwickelt sich die Performance-Capture-Technologie derzeit?

Andy Serkis: Im Postproduktionsprozess werden die Rendermöglichkeiten immer besser, sodass die Original-Performance des Schauspielers am Set immer wichtiger wird. Sehr bald werden wir keine Headmounted-Kameras mehr brauchen, sondern das Schauspiel alleine nutzen können. Die zukünftige Praxisanwendung von Performance Capture ist ein spannendes Thema: Beispielsweise könnten EchtzeitAvatare bald live bei Fernseh-, TheaterEvents oder Konzerten auf eine Leinwand projiziert werden. Im Imaginarium versuchen wir derzeit herauszufinden, welche kreativen Möglichkeiten im Performance Capturing liegen.

DP: Sie haben schon so viele CG-Charaktere gespielt, welche ist Ihre Lieblingsrolle?

Andy Serkis: Zu Gollum habe ich natürlich eine starke Bindung, weil mit ihm meine ganze Performance-Capture-Reise begann. Gollum als Charakter zu finden, war zunächst schwierig, nachdem das Konzept aber erst einmal stand, war seine Rolle nicht allzu kompliziert. Bei ihm geht es nicht darum, was er denkt oder fühlt, er redet stattdessen die ganze Zeit – seine Psychologie ist einfach gestrickt. Caesar ist dagegen subtiler, und ihn echt wirken zu lassen war wesentlich komplizierter. Deshalb ist mir dieser Charakter auch sehr ans Herz gewachsen.

DP: Wie konnten Sie sich in die Rolle eines Affen hineinversetzen – ohne Maske oder andere Hilfsmittel?

Andy Serkis: Vor dem Dreh haben wir uns lange vorbereitet: Wir hatten eine Art Affen-Camp, in dem alle Schauspieler die Kommunikationsweise und die Interaktionsart von Affen analysiert haben. Da die meisten Affen-Charaktere schon im ersten Teil dabei waren, wussten wir, wie Caesar sich ihnen gegenüber verhalten würde.

DP: Glauben Sie, ein PerformanceCapture-Schauspieler benötigt mehr Vorstellungskraft als ein traditioneller?

Andy Serkis: Wir spielen aktuell ja keine Bälle mehr an, sondern können miteinander agieren. Natürlich muss ich für eine solche Rolle meine Vorstellungskraft bemühen, aber es macht dabei keinen Unterschied, ob ich jetzt einen Performance-Capture-Anzug trage oder ein Affen-Kostüm. Es ist sogar eher so, dass eine Maske oder ein aufwendiges Makeup meine Darstellung einschränken würde. Durch das Performance Capturing kann ich mich frei bewegen und das Team kann jede Regung von mir einfangen.

DP: Wenn Sie den CG-Charakter später auf der Leinwand betrachten, sehen Sie dann sich selbst oder einen normalen Affen?

Andy Serkis: Mich selbst. Auch wenn es ein CG-Affe ist, zeigt er meine Ausdrücke, Gefühle, Mimik und Entscheidungen. Wenn man einige Zeit mit echten Affen verbringt, merkt man – genau wie bei seinem eigenen Haustier – welche individuelle Persönlichkeit jeder Einzelne hat. In der Zeit, in der ich an „King Kong“ arbeitete, verbrachte ich viel Zeit im Londoner Zoo. Ich studierte den Bewegungsrhythmus der Affen und beobachtete, wie sie menschliches Verhalten reflektieren. Wenn Affen von Menschen umgeben sind, beeinflusst es ihre Art zu kommunizieren oder zu gestikulieren; sie verhalten sich menschlicher. Schimpansen neigen stärker dazu, menschliches Verhalten zu imitieren als beispielsweise Gorillas.

DP: Geht es Ihnen manchmal nicht zu weit, dass man nur noch Ihre Mimik und Gestik dafür einsetzt, um einen CG-Charakter zum Leben zu erwecken, und man nichts mehr von Ihnen als Person sieht?

Andy Serkis: Man weiß ja vorab, welchen Job man zu welchen Konditionen antritt. Eine der größten Leistungen der letzten Zeit ist die von Scarlett Johansson in „Her“. Dabei sieht man sie nie auf der Leinwand, sondern hört nur ihre Stimme. Wichtig ist nicht, ob jemand physisch auf der Leinwand ist, sondern wie sehr das Publikum von einer Performance berührt wird.

DP: Scarlett Johanssons Voice-Schauspiel hat erneut die Diskussion angestoßen, ob eine solche Leistung auch einen Oscar erhalten darf. Wie sehen Sie das?

Andy Serkis: Ich bin der Meinung, es sollte diesbezüglich keine Unterschiede geben. Da der Prozess des Schauspiels immer der gleiche ist, sollten auch alle Leistungen gleich bewertet werden. John Hurt spielte den „Elefantenmenschen“ (bit.ly/1w4Ep6J) komplett verdeckt von einer SpecialEffects-Maske und erhielt dennoch eine Oscar-Nominierung. Warum bezüglich digitaler Charaktere ein Unterschied gemacht wird, verstehe ich nicht. Vermutlich ist es ein Problem der Wahrnehmung. Für mich ist der digitale Charakter eine Art digitales Make-up, das die Artists den Schauspielern auftragen (siehe dazu auch Interview mit Weta-VFX-Supervisor Dan Lemmon).

DP: Warum haben Sie The Imaginarium in London und nicht in Los Angeles oder Kanada gegründet?

Andy Serkis: In erster Linie weil London meine Heimat ist. 2005 habe ich die Regie für das Performance Capturing des Games „Heavenly Sword“ (bit.ly/U5c6sH) übernommen. Wir begannen bereits mit den Proben, entwarfen ein Skript und besetzten die Rollen, stellten dann aber fest, dass wir in Europa keinerlei Möglichkeiten für einen Performance-Capture-Dreh hatten. So musste ich mit dem Team für die Dreharbeiten ans andere Ende der Welt reisen, nach Neuseeland. Was ich bizarr fand, denn die Firma Vicon Motion Systems kommt aus Oxford, die Motion-Capture-Software aus Cambridge und alle Game-Schauspieler stammten aus London. In Europa, insbesondere in England, herrscht großes Unverständnis für das Thema Performance Capturing – und daher ist auch die Technologie unterrepräsentiert. Mit dem Studio möchte ich meine bisherige Erfahrung aus der Filmindustrie in diesem Bereich mit neuen Techniken kombinieren und dort eigene Projekte realisieren.

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